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Canard Saigon (German Edition)

Canard Saigon (German Edition)

Titel: Canard Saigon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Friesenhahn
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Staatsoper bog Marc nach links Richtung Naschmarkt ab, bog wieder nach links ab, überquerte die Wienzeile und fuhr bis zur Margaretenstraße. Nach etwa 500 Metern hatte er sein Ziel erreicht. Er parkte sein Auto direkt im Parkverbot, aber das war ihm ziemlich egal. Genau um 15.45 Uhr klingelte er an der Tür mit dem Namensschild „Univ.-Prof. Dr. Robert Kaiser“.
    Der Professor öffnete und bat ihn hereinzukommen. Marc folgte ihm ins Wohnzimmer. Die Wohnung war penibel sauber und aufgeräumt. Der Professor wirkte wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung. Seine abgetragene Kleidung, ein altes dunkelblaues Sakko, ausgebleichte schwarze Jeans und ein hellblaues Hemd mit offenem, an den Rändern abgestoßenem Kragen, erinnerte eher an einen in die Jahre gekommenen Juso. Er bot Marc einen Platz an.
    „Na, Herr Inspektor, was verschafft mir die Ehre? Habe ich falsch geparkt?“
    Er hatte den Kopf mit den dichten braunen Haaren gesenkt und sah Marc mit halb geschlossenen Augen an. Seinen schmalen Mund verzerrte er dabei zu einem abfälligen Grinsen. Die roten Äderchen auf seinen Hängebacken ließen auf übermäßigen Alkoholgenuss schließen. Marc mochte den Mann nicht. Ohne auf die Frage des Professors einzugehen, kam er direkt zur Sache.
    „Waren Sie vor etwa 20 Jahren als externer Trainer bei der Wiener Elementar beschäftigt?“
    „Da kommen Sie ja zeitig drauf. Habe ich damals meine Steuern nicht bezahlt?“
    Marc ignorierte die Provokation. Er hatte keine Lust, sich mit dem versoffenen Professor auf eine Diskussion einzulassen.
    „Sie führten auch Gruppendynamikseminare durch?“
    „Ja, da staunen Sie, was?“
    „Können Sie sich an ein Seminar erinnern, an dem ein ehemaliger Fremdenlegionär teilgenommen hat?“
    „Hmm, nicht dass ich wüsste.“
    „Da gab es einen Vorfall, während Ihres Seminars. Der besagte Teilnehmer war psychisch ziemlich angeschlagen. Er hatte eben seine Frau verloren und seine Lebensgeschichte erzählt. Sie hatten ihn dann vorzeitig nach Hause geschickt.“
    „Ah, jetzt kann ich mich erinnern. Das war so ein alter Schwätzer. Der hat uns haarsträubende Geschichten von irgendeinem Krieg erzählt. Wenn Sie mich fragen, war der nicht ganz dicht. Ich war froh, dass er abgehauen ist. Und die restlichen Teilnehmer hatten ihm den Blödsinn auch noch abgekauft. Ich glaube, ich habe einen ganzen Tag gebraucht, um die Gruppe von der Widersinnigkeit seiner Geschichten zu überzeugen.“
    „Sie sind ein großer Menschenkenner, oder?“
    Der Professor bemerkte nicht die Ironie der Frage.
    „Na ja, gelernt ist eben gelernt“, antwortete Kaiser mit einem Anflug von Arroganz. „Mir macht keiner etwas vor.“
    „Sie haben so ein fabelhaftes Gedächtnis. Können Sie sich noch an die anderen Teilnehmer erinnern?“
    „Natürlich nicht, wenn ich mir die Gesichter und Namen aller Schwachköpfe merken müsste, mit denen ich zu tun hatte, wäre ich längst in einer Irrenanstalt, he, he, he.“ Sein meckerndes Lachen verstärkte seine menschenverachtenden Worte. Marc war angewidert. Er wollte das Gespräch sofort beenden und rutschte an die Sesselkante, um aufzustehen.
    „Für die Erinnerung habe ich meine Leichen, he, he, he.“
    Marc erstarrte und runzelte die Stirn.
    „Ihre Leichen?“, fragte er, als hätte er nicht richtig verstanden.
    „Ja, meine Karteileichen, he, he, he. Ich habe alle Seminare, alle Vorlesungen, alle Gastauftritte von mir in meinen Särgen gelagert, he, he, he.“
    Marc war mit einem Schlag hellwach.
    „Sie haben Särge?“
    „Na ja, keine richtigen Särge. Ich nenne sie nur so. Das sind Ordner. Aber da sind die Namen so vieler Zombies drinnen, dass ich sie Särge nenne, he, he, he.“
    „Könnten Sie also die Namen der Teilnehmer des betreffenden Seminars eruieren?“
    „Wenn ich das genaue Jahr wüsste, jederzeit.“
    „September 1988.“
    „Kein Problem, folgen Sie mir, Herr Wachtmeister“, sagte der Professor mit stolzgeschwellter Brust und herablassendem Ton. Marc folgte ihm in einen Nebenraum.
    „Meine Gruft, he, he, he“, sagte Dr. Kaiser und zeigte mit einer ausladenden Handbewegung auf sein Archiv.
    In dem kleinen Raum standen ausschließlich Regale, berstend voll mit Ordnern. Er ging ans Ende der Regalwand und bückte sich. Mit einem einzigen Handgriff zog er den Ordner mit der Aufschrift 1988 heraus. Er öffnete ihn und schlug unter dem Karteireiter für September nach.
    „Da haben wir es schon“, sagte er.
    Marc blickte ihm über die Schulter und

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