Canard Saigon (German Edition)
Marc die Sonnenblende herunter. Die tief stehende Frühlingssonne knallte frontal durch die Windschutzscheibe und raubte ihm die Sicht. Das war aber nicht weiter schlimm, denn um diese Zeit war der Verkehr ohnehin nur zähflüssig. Er dachte an sein Gespräch mit der Staatsanwältin. Frau Dr. Lessing war pünktlich zum vereinbarten Termin erschienen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Juristin war eine Erscheinung. Sie strahlte Charisma aus. Und sie sah verdammt gut aus. Mit ihren hohen Absätzen war sie fast so groß wie Marc. Ihr gewelltes blondes Haar umrahmte ein Gesicht mit einer Haut wie Milch und Honig. Das freundliche, natürliche Lächeln ihrer vollen Lippen, die gerade Nase und das sparsam aufgetragene Make-up unterstrichen ihre sinnliche Schönheit. Mit dem festen, klaren Blick ihrer braunen Augen vermittelte sie Selbstbewusstsein und Kompetenz. Obwohl ihr die Wirkung ihres schlanken Körpers, ihrer beachtlichen Oberweite und ihrer langen Beine bewusst war, spielte sie nicht damit. Sie wollte wegen ihrer Fähigkeiten respektiert werden, nicht wegen ihres Aussehens. Und das gelang ihr. Marc hatte sich gefreut, sie zu sehen, denn er fühlte sich in ihrer Gegenwart richtig wohl. Über eine Stunde hatten sie über den Fall geplaudert. Er hatte sie über die neuesten Entwicklungen informiert, und sie hatte Entscheidungen getroffen. Der Haftbefehl gegen Ahmet Düzel würde zurückgezogen werden. Eine Festnahme von Dr. Klein hatte sie aufgrund der Beweislage abgelehnt, eine Überwachung befürwortet. Für die Untersuchungen der Hinweise des alten Mannes hatte sie grünes Licht gegeben. Nach ein wenig Smalltalk am Ende der Besprechung hatte sie sich verabschiedet. Marc hatte ihr nachgesehen, wie sie in ihrem figurbetonten hellgelben Kostüm den War Room verließ. Er fragte sich, warum eine so tolle Frau keinen Lebenspartner hatte.
Marc klappte die Sonnenblende wieder hoch. Er war eben am Schwarzenbergplatz vorbeigefahren und fuhr Richtung Oper. Marc blickte aus dem Seitenfenster. Hinter den Bäumen, die die Ringstraße säumten, reihten sich die berühmten Prachtbauten der Gründerzeit. Aber er nahm die Schönheit der historischen Gebäude nicht bewusst wahr. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass sein Zeitrahmen knapp wurde. Aber jetzt war es nicht mehr weit. Er dachte an Charles Wegner und die Ermittlungen, die sie seinetwegen begonnen hatten. Während Marc auf die Staatsanwältin gewartet hatte, war Sandra in die Generaldirektion der Elementar gefahren. Die Dame in der Personalabteilung bedauerte, dass sie keine Unterlagen über Seminarbesuche aus dem Jahr 1988 mehr hatte. Nach der Fusion mit einer kleineren Versicherung hatte die Elementar ein neues Datenverwaltungssystem aufgebaut. Die alten Unterlagen wurden vernichtet. Auch eine Anfrage im Archiv ergab keine Hinweise. Sandra probierte ihr Glück in der Ausbildungsabteilung. Auch dort waren alle Aufzeichnungen aus dieser Zeit längst vernichtet worden. Die Gästebücher des ehemaligen Ausbildungszentrums im Hotel Auhof in St. Wolfgang waren vor fünf Jahren anlässlich des Verkaufs der Liegenschaft entsorgt worden. Sandra ging nochmals in die Personalabteilung. Sie bat die Dame, ihr eine Liste jener Personen auszudrucken, die vor 1988 eingestellt worden waren und noch im Unternehmen beschäftigt waren. Die Dame hatte, mit Hinweis auf den Datenschutz, freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Daraufhin rief Sandra im War Room an. Zehn Minuten später war die gewünschte Liste auf dem Display ihres Handys. Vermutlich hatte Fritz die Datenbank der Sozialversicherung angezapft und die Informationen besorgt. Da einige dieser Angestellten in der Generaldirektion beschäftigt waren, hatte Sandra sie befragt. Schon beim vierten Versuch hatte sie Glück. Der Mann aus der Schadensabteilung konnte sich an einen externen Trainer erinnern, der für die damalige Wiener Elementar Gruppendynamikseminare durchgeführt hatte. Sein Name war Dr. Robert Kaiser. Sandra gab diese Information sofort an Fritz und Marc weiter. Fritz befragte seinen Zauberkasten, und wenig später hatte Marc die wichtigsten Daten von Kaiser auf dem Tisch. Der ehemalige Trainer war mittlerweile 60 Jahre alt und seit Kurzem Professor an der Donauuniversität Wien. Er wohnte in der Margaretenstraße, und dahin war Marc nun unterwegs. Marc hatte ihn angerufen und einen sofortigen Termin vereinbart. Kaiser war einverstanden, wies aber darauf hin, dass er nur bis 16.45 Uhr Zeit habe.
Vor der Wiener
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