Canard Saigon (German Edition)
fühlte sich geschwollen an, er war müde. Er kannte dieses Gefühl und hasste es. Schlafen, dachte er, ich sollte nach Hause fahren und schlafen. Er schloss die Augen, lehnte den Kopf zurück. Entspannt atmete er zweimal tief durch, und es schien, als würde er sofort einschlafen. Er spürte, wie die Augäpfel unter den Lidern hin und her zuckten. Nach ein paar Sekunden absoluter Leere öffnete er die Augen, stieß einen Seufzer aus. Ich muss mich entscheiden, dachte er. Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zeigte ihm, dass er noch 25 Minuten Zeit hatte. Er wog die Argumente ab. Alles war perfekt geplant. Der Zeitpunkt war ideal. Sogar das Wetter spielte mit. Soeben war die Sonne untergegangen. Unbemerkt, denn der Himmel war von grauen Wolken bedeckt. In 25 Minuten würde das diffuse Tageslicht fast gänzlich von der Dunkelheit der anbrechenden Nacht verdrängt sein.
Natürlich hatte er eingeplant, sein Vorhaben jederzeit abbrechen zu können. Es konnte ja immer etwas dazwischenkommen. Fünf-, sechsmal hatte er seine Einsätze schon verschoben. Er war stets wachsam und vorsichtig. Nur nicht erwischt werden, sagte er sich, das wäre der Supergau. Und schon gar nicht wegen einer blöden Unachtsamkeit. Er schloss die Augen. Bilder von seiner Verhaftung schossen ihm durch den Kopf. Er sah sich in Handschellen, sah schwer bewaffnete Polizisten, die ihn in eine Zelle warfen, und verschwitzte Kriminalbeamte, die ihn stundenlang verhörten. Die Medien würden seinen guten Namen in den Dreck ziehen. In dicken Lettern würde über seinem Bild das Wort Monster auf den Titelseiten prangen. Er schüttelte sich, wollte diese Gedanken verscheuchen. Das durfte nicht passieren. Die Schande wäre unerträglich. Er müsste sich wohl in der Zelle erhängen. Kurz stellte er sich vor, wie das wohl wäre, nach Luft zu schnappen und elend zu krepieren. Sofort wischte er auch diese Vorstellung weg. Denk nicht an dein mögliches Versagen, sagte er sich, es birgt den Keim für dein tatsächliches Versagen. Führ deine Aufgaben sorgfältig, präzise und entschlossen durch. Du kannst es!
Wenn da nicht dieser Schwellschädel wäre. Er erinnerte sich, dass er bei seinen bisherigen Projekten immer klar im Kopf gewesen war. Und dass ihm die Erregung kurz vor dem Einsatz immer einen formidablen Ständer besorgt hatte. Aber heute war keine Spur davon zu merken. Seine Haut kribbelte und seine Muskeln fühlten sich an, als wären sie unter Schwachstrom gesetzt. Aber keine Spur von einem Ständer. Sein Schwanz reagierte überhaupt nicht. So sehr er sich auch bemühte, in seiner Fantasie Erregung und Geilheit aufzubauen, es nützte nichts. Vielleicht bin ich einfach überreizt, dachte er. Vielleicht habe ich in den letzten Tagen zu viel onaniert. Er dachte an die Minikameras, die er in seinen Kastenwagen eingebaut hatte. Sie hatten hervorragende Bilder seiner letzten beiden Einsätze geliefert. Liebevoll hatte er die Aufnahmen zu Filmen geschnitten. Richtige kleine Kunstwerke sind es geworden, fand er. Und er ergötzte sich täglich daran.
Aber selbst die Gedanken an die Filme konnten seine Erregung nicht steigern. Vielleicht sollte ich abbrechen, dachte er. Ich sollte nach Hause fahren, mir einen Film ansehen und mir einen runterholen. Und dann zu Bett gehen und richtig ausschlafen. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.
Mit einem Ruck setzte er sich auf, trat auf die Kupplung und griff an den Zündschlüssel. Plötzlich hielt er inne. Sein Zeitplan war ihm in den Kopf geschossen und ließ ihn zögern. Er nahm die Finger vom Zündschlüssel und lehnte sich schwer in den Fahrersitz. Die Zweifel waren wieder da. Er hatte noch zwei Projekte geplant. Den heutigen Einsatz könnte er verschieben, aber für das nächste Vorhaben stand ihm nur ein begrenzter Zeitrahmen zur Verfügung. Das musste am Montag, spätestens am Dienstag über die Bühne gehen. Und dann würde der Teufel los sein. Wahrscheinlich musste er dann seine Aktionen abbrechen und für ein oder zwei Jahre von der Bildfläche verschwinden. Also wenn ich jetzt nicht handle, kann ich das heutige Projekt für lange Zeit vergessen, dachte er. Und das wäre ewig schade, es würde etwas fehlen.
Er blickte auf die Uhr und sah, dass er noch zehn Minuten Zeit hatte. Trotz seines mulmigen Gefühls entschloss er sich, doch zu handeln. Er kletterte aus dem Sitz und öffnete die Schiebetür zwischen Fahrerhaus und Laderaum. Mechanisch, routiniert, wie in Trance erledigte er die letzten
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