Canard Saigon (German Edition)
Einsatz eines Elektroschockers oder Betäubungsmittels. Unser Täter ist vorsichtig und lernfähig. Vielleicht haben wir Glück und er ist wegen eines derartigen Vergehens aktenkundig.“
„Ein hervorragender Ansatz“, lobte Marc. „Dazu fällt mir etwas ein. Kann es sein, dass er einige seiner Praktiken bei Prostituierten oder in einschlägigen Sadomaso-Klubs geprobt hat?“
„Das ist gut möglich, sogar wahrscheinlich“, antwortete Sandra.
„Dann werde ich morgen unseren Red Bull Pauli darauf ansetzen“, sagte Marc. „Er soll die Szene durchforsten, ob jemand mit derartigen Neigungen aufgefallen ist.“
Marc beendete die kleine Zusammenkunft, und die drei Ermittler begaben sich an ihre Arbeitsplätze.
Marc blieb im Konferenzraum und studierte die Notizen an der Pinnwand. So sehr er sich auch mühte, auf neue Erkenntnisse stieß er nicht. Nach einer halben Stunde brummte ihm der Schädel. Er blickte aus dem Fenster. Der Regen machte eine Pause, und obwohl die Temperatur zu niedrig für die Jahreszeit war, verspürte Marc den Drang nach frischer Luft. Er entschloss sich, das Büro zu verlassen. Vor dem Haus atmete er tief durch und unternahm einen ausgedehnten Fußmarsch.
Samstagnachmittag reduzierte sich die hektische Weltstadt Wien auf Kleinstadtflair. Die wenigen Menschen flanierten gut gelaunt durch die Straßen. Es schien, als wolle die Stadt Atem holen. Eine kleine Auszeit nehmen, um gerüstet zu sein. Gerüstet für die pulsierende Energie, die spätestens am Montag von ihr Besitz ergriff. Der Spaziergang tat Marc gut. Er schlenderte entlang des Donaukanals und erfreute sich an den da und dort knospenden Sträuchern und Bäumen. Das nasskalte Wetter erfrischte ihn.
An einem Würstelstand gönnte sich Marc eine Heiße und eine Dose Bier. Er aß stehend und belauschte das Gespräch zweier junger Männer, die sich neben ihm labten. Für Marc waren die Würstelstände die wahren Kulturoasen Wiens. Orte, an denen alle sozialen Schichten, meist friedlich, aufeinanderprallten. Wiens Würstelstände gehören auf die rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten, dachte Marc. Die Fastfoodketten vermehren sich wie die Kaninchen. Rattenfängern gleich locken sie die Jugendlichen mit faschierten Laibchen, in einen Badeschwamm gezwängt, die sich geschmacklich nicht von der Verpackung unterscheiden lassen. Hauptsache cool! Vielleicht bin ich ein Dinosaurier, dachte Marc. Die Nazis haben die Kaffeehausliteraten ausgelöscht, berühmte Kaffeehäuser von einst sind jetzt Bankfilialen, und der neue Antiraucherfaschismus gibt der Gastronomie den Rest. Und dem weltberühmten Wiener Schmäh geht es auch an den Kragen. Die Kinder sprechen zunehmend hochdeutsch, da die Eltern glauben, ihre Sprösslinge werden dadurch klüger. Dabei, dachte Marc, ist Dummheit, in Schriftsprache artikuliert, der Gipfel an Lächerlichkeit. Wenn die Wiener ihren Dialekt und ihre charmanten Eigenheiten verlieren, geht gewachsene Kultur verloren. Dann verlieren sie ihre Identität. Und Wien wird eine Stadt mit amerikanischem Zuschnitt und fernsehdeutscher Sprache. Aber noch gibt es sie, die Würstelstände, an denen der Wiener Schmäh so prächtig gedeiht.
Und je länger Marc seine Gedanken wälzte, desto besser schmeckte ihm die Wurst. Gestärkt trat er den Rückweg ins Bundeskriminalamt an.
Wien, Samstag, 17. April 2010, 17.30 Uhr
„Die Herrschaften sind pünktlich“, sagte Marc Vanhagen zu Martin Schilling.
„Da scheint jemand nervös zu sein.“
„Wir werden sehen“, sagte Marc.
Die beiden Ermittler gingen den zwei Männern entgegen, begrüßten sie und baten sie in einen Besucherraum. Er war lieblos eingerichtet. Weiße Wände mit zwei Kaufhausbildern, ein Kunststofffenster ohne Vorhänge, ein dunkelbrauner Spannteppich, eine braune Anrichte und in einer Ecke ein weißer Pflanzencontainer mit Grünpflanzen boten ein karges Ambiente. In der Mitte des Raums stand eine Sitzgarnitur, bestehend aus zwei Zweisitzern aus rotem Kunstleder mit Chromgestell, dazwischen ein Couchtisch aus Glas. Marc hatte dieses Zimmer mit Absicht gewählt.
Kaum hatte Dr. Buchenstock neben seinem Mandanten Platz genommen, wandte er sich an Marc.
„Herr Oberst Vanhagen, ich hoffe, dass diese Zusammenkunft mit allergrößter Diskretion behandelt wird“, eröffnete er das Gespräch.
„Herr Dr. Buchenstock, ich werde Ihren Mandanten befragen“, sagte Martin Schilling, ohne auf die Äußerung des Strafverteidigers einzugehen. Er legte ein
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