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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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mit der Wimper zu zucken. Hätte ihn umgebracht, seinen Körper bespuckt und ihn gleich noch mal getötet.
    Ich spürte die Leere in mir.
    Kein Gefühl.
    Kein Herz.
    Nur sein Tod.
    Ich sah es im Spiegelbild meiner Augen. Weiß in der Fensterscheibe   … weiß in dem dunklen Glas   …
    Eine Vision in Weiß.
    In mir   …
    Durch mich durch   …
    Draußen im Wald.
    Weiß in der Dunkelheit.
    »Joe?«
    »Gina?«
    »Joe?«
    Candy   …?
    Hinter mir. Sie stand hinter mir   … in der Mitte des Zimmers   … ihr Nachthemd-Spiegelbild mit meinem im Fenster verschmolzen. Ihre Figur   … mein Gesicht. Gina in meinen Augen   … Iggy in ihren. Der Teufel im Wald. Einen Augenblick sah ich uns alle – mich, Candy, Gina, Iggy – zusammengezogen im spiegelnden Glas wie Geister im Dunkeln   …
    Und ich war seltsam beruhigt.
    Dann sprach Candy und die Ruhe brach zusammen.
    »Was ist los?«, fragte sie. »Ich bin aufgewacht und hab dich schreien hören   … Wer ist das am Apparat? Mit wem sprichst du?« |353| Mit niemandem, merkte ich plötzlich. Ich sprach mit niemandem. Ich hörte nicht zu. Ich tat überhaupt nichts. Gina war in ernster Gefahr, sie brauchte mich, und was tat ich? Nichts. Ich stand nur da, verloren in mir selbst, und starrte irgendwelche erbärmlichen Gestalten im Fenster an   …
    Ich presste die Augen zu und schrie mich in hassvollem Schweigen selbst an:
Verdammt, was ist los mit dir   … wie konntest du   …?
    Dann ließ ich es bleiben.
    Es war keine Zeit.
    Als ich den Selbstekel aus meinem Kopf vertrieben hatte und meine Aufmerksamkeit wieder dem Telefon widmete, hoffte ich inständig, dass ich mich nicht zu lange verloren hatte. Dass ich nichts versäumt hatte. Denn wenn doch   … wenn Iggy aufgelegt hatte   …
    Ich wollte es mir nicht ausmalen.
    Mit heftig schlagendem Herzen machte ich Candy Zeichen, sie solle still sein, und drückte das Handy ans Ohr. Die Verbindung war noch da. Ich hörte Iggy im Hintergrund mit jemand murmeln. Er hatte die Hand über die Sprechmuschel gelegt. Ich hielt mir das andere Ohr mit dem Finger zu und horchte genau, aber ich konnte trotzdem nicht verstehen, was er sagte. Ich überlegte, das Handy lauter zu stellen, doch ich wusste nicht mehr, welche Taste die richtige war, und wollte nicht aus Versehen die falsche drücken, deshalb drückte ich das Handy nur dicht ans Ohr und wartete.
    Kurz darauf hörte das Gemurmel auf und eine erstickte Stille füllte mein Ohr. Ich hörte ein kratzendes Geräusch, Holz auf Holz, wie von einem Stuhl, der über Holzbohlen gezogen wird. |354| Danach wieder Stille. Ein kaum hörbares Lachen. Und dann war die gedämpfte Stille vorbei. Iggy nahm die Hand von der Muschel, schniefte schwer und sprach ins Telefon.
    »Hey, Killer   … noch da?«
    »Ich bin da«, sagte ich.
    »Hörst du jetzt zu?«
    »Ich höre.«
    »Okay, hör gut zu.« Ein dumpfer Schlag hallte durch die Leitung, direkt gefolgt von einem erstickten Schrei. Ich spürte, wie mir ein Messer das Herz durchbohrte. »Hörst du das?«, fragte Iggy. »Das ist deine Schwester. Noch ’ne Drohung von dir und das nächste Mal, wenn du sie siehst, hat sie kein Gesicht mehr zum Reinschlagen – verstanden?«
    »Bitte nicht   –«
    »Verstanden?«
    »Ja   … ja, verstanden.«
    »Weißt du, die Sache ist die, Joey, ich könnte dich anlügen, ich könnte dir sagen, ich will deiner Schwester nicht wehtun   … aber um ehrlich zu sein, es ist mir scheißegal. Du verstehst, was ich meine? Sie ist Ware für mich, genau wie alle andern – Ware zum Geldverdienen. Das Einzige, was mich abhält, sie fertig zu machen und zum Reden zu bringen, wo du steckst   … tja, wie gesagt, sie ist ein hübsches Ding. Wär ’ne Schande, sie so nutzlos zu vergeuden. Ich mein, sie ist keine Candy, aber sie ist gut genug, um Profit zu bringen. Natürlich muss man ihr erst gut zureden   …« Er hielt inne, ließ mir Zeit zu begreifen, was er meinte, dann fuhr er fort: »Du verstehst, was ich sage, Joey? Ich kann gar nicht verlieren   … so oder so, ich kann nicht verlieren. Du willst deine Schwester? Dann krieg ich die Nutte. Du willst die Nutte? Dann |355| nehm ich deine Schwester. Für mich ist das egal   … Aber wenn ich du wär, würd ich die Nutte aufgeben. Denn wenn sie bei dir bleibt, ruiniert sie dich nur, und wenn sie zu mir zurückkommt   … tja, dann werd ich ein bisschen Spaß haben,
sie
zu ruinieren. Aber das ist eine rein persönliche Sache, weißt du? Ich mein,

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