Candy
das nicht sagen. Ich wusste, was ich getan hatte. Ich hatte es
getan
. Ich hatte Iggy gesagt, wo wir waren. Ich hatte unsere einzige Handhabe weggegeben. Er brauchte nichts weiter. Er brauchte uns nicht. Nicht mehr. Wir waren überflüssig.
Ich wusste es.
Und Mike wusste es auch.
Aber ich glaube, wir merkten beide, dass es nichts brachte, darüber zu reden. Es war passiert. Reden änderte überhaupt nichts. Es bewirkte höchstens, dass die Dinge real wurden, und das war nicht zu ertragen.
»In Ordnung«, sagte Mike, nachdem ich ihm alles erzählt hatte. »Wie spät war es, als Iggy aufgelegt hat?«
»Fünf vor sechs.«
»Okay … ich fahr jetzt los. Ich bin in Heystone, bei euch zu Hause, also müsste ich vor Iggy am Cottage sein. Unternehmt gar nichts, ehe ich ankomme. Verriegelt nur sämtliche Türen und dann wartet. Wenn er noch mal anruft, tut einfach alles, egal was er sagt, aber gebt mir Bescheid. Hast du meine Nummer?«
»Ja.«
»Gut.«
»Er wird nicht allein kommen, Mike.«
»Ich weiß.«
»Was werden wir tun?«
|363| »Was immer nötig ist.«
Die nächsten paar Stunden hätten alles sein können – ein paar Tage, ein paar Sekunden, ein paar Jahre … es war unmöglich zu sagen. Der Verlauf der Zeit schien sich aufzulösen. Wenn ich an Mike dachte und darauf wartete, dass er endlich kam, wirkte jede Minute wie eine Stunde, aber wenn sich meine Gedanken Iggy zuwendeten, fing die Welt wie verrückt an zu wirbeln.
Zu langsam …
Zu schnell …
Zu langsam …
Zu schnell …
Mir wurde ganz übel.
Oder vielleicht war es auch nur die Angst?
Denn Angst hatte ich. Ich hatte
mehr
als Angst – ich hatte Todesangst, und die ist fast unbeschreiblich. Es ist, als würde man all seinen tiefsten Ängsten von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, allen auf einmal – nur zehnmal schlimmer. Die Angst greift in dich hinein und zerquetscht dir dein Herz. Sie bringt dich um. Sie schreit in dir. Sie macht dich klein. Sie lässt dich zu nichts werden …
Sie macht dich krank, egoistisch und unfähig.
Genau wie Heroin, stell ich mir vor.
Genau wie Candy.
Zu schnell …
Zu langsam …
Zu schnell …
Zu langsam …
Sie hatte sich nicht gerührt, seit ich ihr gesagt hatte, dass Mike |364| käme. Sie saß nur da wie ein Zombie, starrte auf den Boden und sagte nichts. Ich wusste nicht, was sie dachte … oder ob sie überhaupt etwas dachte. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie sich fühlte. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Ich saß eine Weile neben ihr, teilte ihr Schweigen, dann stand ich auf und ging ins Bad.
Es war ein merkwürdiger Gedanke, aber ich überlegte, dass ich, wenn ich tatsächlich sterben musste, genauso gut mit leerer Blase sterben konnte.
Als ich aus dem Bad zurückkam, hatte sich Candy noch immer nicht gerührt.
Ich setzte mich hin und legte meine Hand auf ihre Schulter.
Sie sah mich an. »Es wird nicht klappen, weißt du?«
»Was wird nicht klappen?«
»Was immer Mike tun will – es wird nicht funktionieren. Er bringt sich nur um. Dich wahrscheinlich auch. Es ist dumm.«
»Vielleicht, aber es schadet nicht, wenn wir ihn anhören, oder? Was wir dann tatsächlich tun, können wir immer noch entscheiden, wenn er erst hier ist.«
»Und was ist, wenn Iggy vor ihm da ist? Wir
wissen
doch gar nicht, ob er aus London kommt, oder? Er kann von überall her kommen. Nach allem, was wir wissen, kann er jeden Moment hier sein.«
»Na ja, wenn er früher kommt, spielt es aber auch keine Rolle, was Mike plant, oder?«
»Nein … wahrscheinlich nicht.«
Sie starrte wieder zu Boden.
Und ich dachte wieder über sie nach.
Glaubt sie, sterben zu müssen?
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Hat sie genauso viel Angst wie ich?
Oder glaubt sie tatsächlich, dass sie wieder in ihr altes Leben zurückkehren wird?
Und wenn sie das denkt … Gott, wie schrecklich muss das sein?
Zurück zu Iggy.
Zurück zu den Drogen.
Zurück in die Prostitution.
Vielleicht würde sie ja lieber sterben?
Vielleicht wünscht sie sich das?
Vielleicht –?
»Mach dir keine Sorgen«, sagte sie.
Ich sah sie an. »Was ist?«
»Mach dir keine Sorgen um Gina – ihr wird nichts passieren. Iggy wird ihr nichts tun. Wenn er vorhätte, ihr wehzutun, hätte er dich nicht angerufen. Er hätte es einfach getan. Er ist nicht dumm – er kennt den einfachsten Weg zu bekommen, was er will. Das hier ist der einfachste Weg. Wenn er Gina was tut, handelt er sich nur Ärger ein. Er will keinen
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