Candy
warum, aber alles passte genau zusammen – der Sound, die Power, die Musik, die Beleuchtung … alles verschmolz zu einer Perfektion, die einem sämtliche Gedärme zerriss. Wir hatten noch nie so gut gespielt. Wir waren irre. Wir waren so gut, dass ich mir beinahe wünschte, ich wäre selbst da unten auf der Tanzfläche. Die Menge drehte durch. Ich meine, wir machten sie platt, wir hauten sie um. Sie konnten nicht genug von uns kriegen. Es war unglaublich. Der Sound war plötzlich makellos – hart, laut und klar – und die Songs hatten noch nie besser geklungen: geballt und schnell, voller Energie, neu, elektrisierend, aufregend. Wir waren heiß und das wussten wir – ich und Ronny hämmerten den Backbeat so solide wie ein Fels; Chris spielte wie der Teufel auf seiner Gitarre, Jason sang und tanzte und schrie wie ein Gott …
Während der ersten drei Songs hielt ich den Kopf gesenkt und spielte. Es war heiß unter den Lampen und ich war schnell schweißgebadet. Es strömte aus mir heraus, lief mir die Haut runter und ich spürte, wie all das Kranke, der ganze Mist, den ich |145| empfunden hatte, aus mir herausfloss, bis nur der primitive Reiz der Musik übrig blieb und in meinem Innern weiterpumpte. Und der kam ganz ohne Gefühle oder Gedanken aus. Ich konnte die Menge spüren, ohne sie zu sehen. Ich konnte spüren, wie sie sich zur Musik bewegte, drauf abfuhr, drauf einstieg. Ich hörte den Applaus und den Jubel. Ich war mir vage bewusst, dass die Menge die ganze Zeit weiter anwuchs, aber als ich schließlich aufsah, am Ende des dritten Songs, war ich erschüttert zu sehen, dass der Club nahezu voll war. Die Tanzfläche war überfüllt. Alle Tische waren besetzt. Leute kamen aus der Bar rein und versuchten noch einen Platz zu finden, wo sie stehen konnten. Selbst die Jungs von
Bluntslide
waren rausgekommen, um uns zuzuschauen.
Es war erstaunlich.
Während Jason den nächsten Song ansagte, schützte ich meine Augen vor dem Licht und schwenkte den Blick über die Gesichter der Menge. Es war schwer, in der Dunkelheit irgendwelche Details zu erkennen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Candy nicht da war. Ich guckte trotzdem weiter, und als ich jemand meinen Namen rufen hörte, glaubte ich einen Moment, ich hätte sie gefunden. An einem Ecktisch ganz hinten, sie schwenkte die Hand … dann merkte ich, es war Gina. Sie war ziemlich aufgestylt für den Abend in London und ich glaube, eine Sekunde lang verwirrte mich die Vertrautheit ihres Gesichts … oder vielleicht versuchte ich auch nur einfach ein bisschen
zu
sehr, Candy zu finden. Ich weiß es nicht. Als ich begriff, dass es nicht Candy war, sank meine Stimmung kurz in den Keller, doch dann lachte Gina und schrie und Mike, der neben ihr saß, grinste und hob die Faust und mein Stimmungstief verzog sich wieder.
Es war gut, sie zu sehen.
|146| Nicht so gut, wie Candy zu sehen …
Aber man kann eben nicht alles haben, oder?
»Bist du so weit, Joe?«, fragte Jason.
Ich nickte und wischte den Schweiß von den Saiten.
Jason zündete sich eine Zigarette an und drehte sich wieder zurück zur Menge. »Okay«, sagte er ins Mikrofon. »Der nächste Song heißt –
Girl on Fire
.«
Ich schlug als Einstieg ein Rockabilly-Riff an, stampfte es hart und schnell heraus und dann krachten das Schlagzeug und die Gitarren rein und wir waren wieder unterwegs und rockten das Haus nieder.
Eine halbe Stunde später, als wir zur Schlussnummer kamen, war die Stimmung im Club beinahe zu gut, um wahr zu sein. Der ganze Bau war überfüllt, eine einzige wimmelnde Masse aus Lärm und Schweiß und tanzenden Körpern, und keiner wollte, dass die Show aufhörte, am wenigsten wir. Aber wir hatten keine Wahl. Es war der Auftritt von
Bluntslide
, nicht unserer, und wir hatten uns mit ihnen auf ein 4 5-Minuten -Set geeinigt. Alles darüber und sie würden ernsthaft beleidigt sein. Eigentlich war das kein großes Problem, denn wir hatten sowieso nicht mehr Songs als für fünfundvierzig Minuten.
Bis dahin hatten wir zum Schluss immer eine Lou-Reed-Nummer gespielt – einen Song mit dem Titel
Sweet Jane
. Ist zwar ein bisschen altmodisch, aber er hat ein echt schönes Riff und wir spielen ihn ein ganzes Stück schneller als das Original und mischen ihn am Schluss richtig auf … deshalb ist es eine ziemlich gute Schlussnummer.
An dem Abend aber, gerade als wir uns bereitmachten,
Sweet
|147|
Jane
zu spielen, rief uns Jason alle am Schlagzeug zusammen und meinte,
Weitere Kostenlose Bücher