Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
auffiel, war seine Leichtigkeit. Er stand irgendwie aufrechter, und seine Schultern trugen nicht die Last seines gegenwärtigen Kummers. Seine Augen, sein Lächeln, selbst die Art, wie er den Kopf hielt, strahlten Glück aus, Zufriedenheit.
Sie waren eine glückliche Familie, dachte Lily, während sie das Foto verglich mit dem in Daniels Schuh.
Daniel.
Sie sank auf die Couch, während das Bild aus ihrer Hand in die Polster glitt, warf den Kopf zurück in die Kissen und starrte ausdruckslos an die Decke.
Ihr Mann und Alessandro waren in jeder Hinsicht das Gegenteil voneinander. Daniel war blond, während Alessandro dunkelhaarig war, kantig, während Daniel weich war, zurückhaltend, während Alessandro wiederum leidenschaftlich war. Lily konnte sich nicht vorstellen, dass Daniel sich darüber aufregen würde, dass vor tausend Jahren irgendein alter Erzfeind den Familiensitz erbeutet hatte. Er verzieh seinen Eltern viel schlimmere Verbrechen.
Daniel war nicht nachtragend. Er zog es vor, die Wogen zu glätten, statt welche zu verursachen. Als er sie in der Gasse angebrüllt hatte, war er so wütend, wie sie ihn noch nie erlebt hatte.
Was war aus ihrem Mann geworden, den sie einmal so gut kannte? Lily hatte gedacht, dass er aussah wie immer, als sie ihn auf der Piazza entdeckte, aber vorhin in der Gasse mit seiner scharfen Stimme, seinen umschatteten Augen und seiner offenkundigen Wut schien er ein anderer Mann zu sein. Älter. Älter?
Heute war Samstag. Daniels Geburtstag.
Lily schloss die Augen und spürte, dass ihr eine Träne über das Gesicht bis zum Ohr kullerte.
Vor einer halben Ewigkeit hatte sie geplant, diesen Nachmittag mit ihrem Mann zu verbringen, ein Lunch im Museum of Modern Art und ein Bummel durch die Ausstellung.
Stattdessen hatte sie den Nachmittag damit verbracht, ihn auf dieselbe Art zu betrügen, wie er sie betrogen hatte.
Alessandro, dem es schließlich gelungen war, sich von seiner kränkelnden Haushälterin loszueisen, eilte zurück ins Wohnzimmer.
»Bitte entschuldige«, sagte er. »Aber ich denke, Signora Benedicti hat sich wieder erholt. Zumindest sagt sie, dass sie jetzt weiterputzen möchte, obwohl ich ihr befohlen habe, sich ein, zwei Stunden auszuruhen.«
Er unterbrach sich, als er ihre Tränen sah.
»Du bist beunruhigt, das tut mir leid«, sagte er und näherte sich ihr.
»Nein, mir tut es leid«, entgegnete sie.
Er sah auf das Bild in ihren Händen.
»Ah«, war alles, was er sagte.
»Du hast eine Tochter«, sagte sie und hielt das Foto hoch.
»Ja.«
»Du hast mir nie von ihr erzählt.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.«
»Nun ja, wie alt ist sie? Wo wohnt sie?«
Er wirkte plötzlich verärgert, und Lily dachte einen Moment lang, er würde aus dem Zimmer stürmen, aber das tat er nicht. Stattdessen kam er und setzte sich neben sie, während er ihr das Bild aus der Hand nahm.
»Sie ist einundzwanzig und lebt in Pienza.«
»Wie oft siehst du sie?«
»Ich sehe sie gar nicht.« Er machte eine Pause. »Sofia.«
»Das ist ein wunderschöner Name, Alessandro. Für ein wunderschönes Mädchen.«
»Sie ist für mich verloren«, sagte er.
»Das kann ich nicht glauben.«
»Aber es ist wahr. Ich habe sie schon vor einiger Zeit verloren. Erinnerst du dich, ich habe dir doch von der Familie erzählt, die uns dieses Haus hier abgeluchst hat. Sofia hat einen davon geheiratet.«
»Aber das ist doch schon Hunderte von Jahren her!«
»In dem Blut der Mangiavacchi fließt noch immer dasselbe hinterhältige Gift«, erwiderte Alessandro. »Das ist kein Geheimnis, und sie weiß es, und trotzdem hat sie ihn geheiratet.«
»Nun, das nennt man dort, wo ich herkomme, sich ins eigene Fleisch schneiden«, sagte Lily. »Sie ist deine Tochter, Alessandro. Und sie hat ihre Mutter verloren. Sicher vermisst sie dich sehr, und du vermisst sie bestimmt auch.«
Sie konnte an seinem vorgeschobenen Kiefer sehen, dass er kurz davorstand, seine Haltung zu verteidigen, sich zu rechtfertigen, aber am Ende tat er es nicht. Er ließ sich tiefer in die Couch sinken und seufzte.
»Ja, ich vermisse sie«, sagte er dann. »Natürlich fehlt sie mir. Und inzwischen hat sie einen Sohn, mein Enkelsohn, aber … ich habe ihn nie kennengelernt.«
»Alessandro, das ist wirklich traurig. Nicht nur für deine Tochter, sondern ebenso für dich und den Kleinen. Könnt ihr euch nicht in den Arm nehmen und versöhnen?«
»Ich warte«, sagte er. »Ich warte, bis ich nicht mehr so wütend bin auf
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