Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
wenn es ihnen gar nicht bewusst ist. Und bevor sie sich’s versehen, sind sie wie die Turteltauben und haben die beste Zeit ihres Lebens. Ich weiß über euch Bescheid.«
Die Liga war geheim. Trotz der über zweihundertfünfzig glücklichen Ausgänge, die sie im Laufe der Jahre bewerkstelligt hatten, sollte niemand über sie Bescheid wissen.
»Außerdem«, fuhr Fiorella fort und schob wieder ihre riesige Brille auf der Nase hoch, »arbeite ich Teilzeit in der Apotheke an der Ortsausfahrt. Ich räume die Regale ein. Ich meine nicht die Apotheke in der Stadtmitte, wo jeder nur langweiliges Zeug holt. Vertraut mir, da, wo ich arbeite, bekommt man alles mit. Nicht ein Kondom oder Schwangerschaftstest oder Glücklichmacher geht über die Ladentheke, ohne dass ich mitkriege, für wen das bestimmt ist. Ich habe den Finger am Puls, kann ich euch sagen. Jedenfalls eher als der Apotheker, so viel steht fest. Der steht nämlich die halbe Zeit unter Beruhigungsmitteln. Der weiß nicht einmal seinen eigenen Namen. Dazu muss er vorher erst im Führerschein nachsehen.«
Die erstaunten Witwen wussten nicht, wohin sie schauen sollten. Informationen wie solche, die aus der Apotheke an der Ausfallstraße kamen, konnten sie definitiv gebrauchen, aber es war klar, dass Fiorella Fiorucci ein harter Brocken war.
Die Witwe Mazzetti, die das Regelbuch der Liga auswendig gelernt hatte und jede Klausel und jeden Nachtrag kannte bis zurück ins Jahr 1947, sah aus, als hätte sie der Schlag getroffen. Sie legte genauso viel Wert auf die Regeln wie Violetta, deren Augen schmal wurden und die nach einem Räuspern Fiorella aufforderte, der Gruppe mehr zu erzählen über ihren verstorbenen Mann.
»Was gibt es da schon zu erzählen?«, entgegnete Fiorella. »Vor vierundsechzig Jahren ist er aus dem Krieg zurückgekehrt und hat mir gesagt, dass meine erste große Liebe aus Kindertagen, Eduardo, in seinen Armen starb auf dem Schlachtfeld. Kurz darauf haben wir geheiratet. Etwas später kam Eduardo nach Hause, ein Bein weniger, aber ansonsten immer noch der Mann, den ich von ganzem Herzen und ganzer Seele liebte, der Mann, mit dem ich mein Leben hatte verbringen wollen.«
Die Atmosphäre im Raum schlug von Erstaunen in Mitgefühl um, was unter diesen Umständen ein bemerkenswerter Umschwung war.
»Das muss furchtbar gewesen sein«, sagte Luciana, die sich ein Stück vor ihre Schwester schob.
»Nun, ja, zu jener Zeit verließ eine Frau ihren Mann nicht, nur weil er ein verlogener, hinterhältiger Tyrann war, der ihr mit einem Trick das ewige Glück verwehrt hat.«
»Stimmt, das war früher wirklich so«, sagten mehrere Witwen zustimmend.
»Und was ist aus Eduardo geworden?«, wollte Luciana wissen.
»Oh, wir haben uns wiedergesehen, nur das eine Mal. Er hat mir ein Medaillon geschenkt mit einem Porträt von uns beiden. Ich trage es immer noch.« Sie fischte es unter ihrem bunten Kleid hervor und klappte es auf, um dem Raum eine verblichene sepiafarbene Fotografie zu präsentieren von ihr selbst in jungen Jahren – dieselbe Brille– und einem jungen, sie anhimmelnden Soldaten. »Er sagte, ich muss mir selbst verzeihen, weil jeder auf Lorenzos Tricksereien hereingefallen wäre. Er war schließlich dafür bekannt. Und er sagte, dass ich trotzdem versuchen soll, mit Lorenzo glücklich zu werden. Danach ging er nach Hause und starb. Ich denke, an gebrochenem Herzen, obwohl andere sagen, an einer Blutvergiftung.«
»Ein anständiger Mann«, bemerkte eine der Witwen, begleitet von einem Chor von »sì, sì«.
»Ich habe mich während meiner ganzen Ehe wie eine Witwe gefühlt, wenn ich ehrlich bin«, sagte Fiorella. »Obwohl dieser zu groß geratene Gnocchi dreißig Jahre mit mir zusammenlebte und weitere dreißig mit meiner Schwester durchhielt, dieser jammernden Quasselstrippe, bevor er endlich das einzig Richtige tat und vor einen Lastwagen lief.«
Wieder entstand betretenes Schweigen.
»Du scheinst ein bisschen schrullig zu sein«, wagte Luciana sich hervor.
»Wird das nicht von uns erwartet?«, entgegnete Fiorella. »Ihr seid alle schrullig.«
»Ja, aber wir tun nur so«, stellte Violetta klar.
»Nun, ich vielleicht genauso.«
»Wenn sie nur so tut, dann ist sie sehr gut darin«, murmelte die Witwe Benedicti zu niemandem speziell.
»Hört zu, ich weiß, wie es ist, alt zu sein und unsichtbar«, sagte Fiorella und spielte an ihrem Medaillon, während sie den Blick über die Runde schweifen ließ. »Wir können still in unseren dunklen
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