Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
nicht gestört, wenn Daniel anwesend war, und genauso wenig, wenn er abwesend war.
Eine Scheidung würde unter Umständen nichts ändern, abgesehen von der Möglichkeit, ihre Schuhsammlung zu verdoppeln und Daniels Seite des Wandschranks zu belegen.
Unabhängig davon, ob sie ihre Ehe aufrechterhalten würde wegen der Schrankgröße, könnte sie sie aus demselben Grund beenden?
Sie war sich nicht sicher. Und daran war etwas falsch. Etwas war falsch daran, dass es sie nicht kümmerte, ob Daniel anwesend war oder nicht. Sie hatte ihn von ganzem Herzen geliebt. Selbst wenn sie sich nicht sicher war, ob sie ihn immer noch liebte, wusste sie, dass sie nie bewusst die Entscheidung getroffen hatte, es nicht mehr zu tun. Was zum Henker war also passiert? Wie konnte eine so gewaltige Veränderung stattfinden ohne ihre Erlaubnis? Nein, schlimmer noch, ohne dass sie es überhaupt bemerkt hatte?
Sie musste aus vielem erst schlau werden, und nichts davon wurde klarer, also bestellte sie noch einen halben Liter Wein, Dessertwein, und da es unangemessen schien, kein Dessert dazuzunehmen, bestellte sie davon auch eins.
»Tiramisu?«, soufflierte der Kellner, als sie die Speisekarte mit verschwommenen Augen studierte. Sie vermutete, das bestellten die meisten Amerikaner.
»Sì, grazie«, antwortete Lily mit einem kurzen Nicken.
Als das Tiramisu kurz darauf gebracht wurde, schob sie es zur Seite, ohne auch nur einmal den Löffel hineinzutauchen, und konzentrierte sich stattdessen auf den Wein und ihren Plan.
Sie konnte sich von Daniel scheiden lassen oder nicht. Doch egal, wie sie sich entschied, es schien keine Rolle zu spielen. Offenbar war es hoffnungslos, zu einem Ergebnis zu kommen. Aber als das Nachmittagslicht zur Abenddämmerung über den Hügeln verblasste, war ihr schließlich klar, dass sie, was sie auch tun würde, Daniel nicht unbedingt finden musste, um es zu tun.
Er war nicht erforderlich in ihrer unmittelbaren Zukunft.
Sie konnte einfach in ihr Zimmer bei Violetta zurückkehren, ihre Sachen packen und direkt nach Hause fliegen. Ende der Geschichte.
Sollte sie beschließen, den Status quo aufrechtzuerhalten, brauchte Daniel nie zu erfahren, dass sie in Italien gewesen war. Sollte sie beschließen, dass sie seine Hälfte des begehbaren Kleiderschranks haben wollte, konnte sie zum Anwalt gehen, bevor er zurückkam, und alles Nötige in die Wege leiten.
Sie brauchte ihren Mann nie wiederzusehen.
Lily ließ diese Möglichkeit voll in sich einsinken, aber sie schien nur über die gläserne Oberfläche ihres Herzens zu rutschen, diese nur aufzureißen, ohne in die dunklen Tiefen zu tauchen.
Sie versuchte, sich vorzustellen, wie Daniel früher gewesen war, damals, als sie sich keine Minute ohne ihn vorstellen konnte, geschweige denn ein Leben ohne ihn. Er sah sie früher immer an, als wäre sie die schönsteFrau der Welt und er der glücklichste Mann. Sie wusste, dass es so war. Sie hatte diesen Blick tausendmal gesehen. Aber jetzt, während sie zwischen den Häusern von Pienza saß und ihr Glas leerte, konnte sie ihn sich nicht mit diesem Blick vorstellen, sosehr sie sich auch anstrengte. Alles, was sie sah, war sein Prada-Gürtel mit einer breiten Hüfte davor und einem dicken gestreiften Babybein daneben.
Ein dickes Baby. Nicht, mahnte sie sich selbst. Nicht jetzt. Lass es.
»Grappa, Signora?«, fragte der Kellner und räumte elegant die leere Weinflasche ab, ließ aber das Tiramisu stehen.
Lily sah ihn überrascht an. Sie konnte nicht glauben, dass sie die Flasche leer gemacht hatte. Es kam ihr vor, als hätte sie gerade erst einen Schluck davon probiert. Sie war stocknüchtern, aber immer noch unglaublich durstig. Unstillbar durstig. Und sie hatte den Plan noch nicht fertig. Sie musste ihn unbedingt fertigkriegen. Grappa war ein Schnaps, das wusste sie, und während sie normalerweise einen Bogen machte um Hochprozentiges, fand sie nun, ein Gläschen würde ihr unangerührtes Dessert perfekt abrunden.
Sie lächelte gelassen. »Sì, grazie«, murmelte sie.
Der Grappa schmeckte wie Abbeizmittel. Er war so stark, dass Lilys Augen tränten, als sie das Glas an die Lippen hob, und sie konnte nur daran nippen, obwohl sie ihn schließlich schaffte. Das zweite Glas ging schon viel leichter herunter.
Das Gute war, dass der Scheidung von Daniel kein Stigma anhaften würde, weil sich heutzutage fast jeder scheiden ließ. Und es würde kein Stigma anhaften, wenn sie bei ihm bliebe, weil niemand erfahren würde, was
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