Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
er getan hatte.
Niemand würde sie bemitleiden und auf Dinnerpartys über die Kerzen hinwegmurmeln, die arme unfruchtbare Frau, schuftet Tag und Nacht, damit er sich ein schönes Leben machen kann, während er sich in Italien vergnügt und sich alles gönnt, was er ihr einmal versprochen hat.
Wenn niemand erfuhr, was er getan hatte, würde das Leben weitergehen wie früher. Daniel hätte seine Kumpels und sein Golf und seine Reisen nach Italien, und Lily hätte ihre Garderobe, ihre Workouts, ihren Sechzehnstundentag im Büro. Das war die Welt, die sie für sich selbst erschaffen hatte. Das war die Welt, die noch stand, die noch stehen konnte, unberührt von Daniels Betrug, falls sie das für das Beste hielt.
Sie könnte so weiterleben, sie wusste, dass sie das konnte. Aber das Bild eines kleinen Mädchens mit grünen Augen, olivbrauner Haut und langen Beinen tauchte vor ihrem geistigen Auge auf. »Was hast du für ein Problem?«, hatte Francesca gefragt.
Lily verscheuchte das Bild und blickte auf ihr Tiramisu. »Bleib nicht diese kalte, einsame Person«, sagte es zu ihr und jagte ihr einen solchen Schreck ein, dass sie einen Schrei ausstieß.
Der Kellner stellte rasch ein Tablett mit Gläsern auf dem nächsten Tisch ab und kam zu ihr geeilt.
» Signora , alles in Ordnung?«, fragte er und blickte sich um, verwundert.
Lily starrte wieder auf das Tiramisu, mit offenem Mund, während die Sahne oben schimmerte. »Das ist nicht dein echtes Ich«, sagte es zu ihr.
Sie sprang von ihrem Stuhl auf und wich taumelnd vom Tisch zurück, als würde das Tiramisu seiner Ansprache eine körperliche Attacke folgen lassen.
»Stimmt etwas nicht mit dem Dessert?«, fragte der Kellner.
Ob etwas damit nicht stimmte? Es hatte mit ihr gesprochen.
»Haben Sie das gesehen? Haben Sie das gehört?«, entgegnete Lily. »Wage es nicht, so mit mir zu reden!«, herrschte sie das Tiramisu an.
»Verzeihung, Signora ? Ich habe nur gefragt, ob etwas mit dem Dessert nicht stimmt.«
»Nein, nicht Sie«, sagte Lily. »Das da.« Sie deutete auf den Tisch. »Das.«
»Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen, Signora ? Oder vielleicht ein Taxi rufen?«
Der Kellner war nicht mehr auf ihrer Seite, das konnte Lily sehen. Er ging auf Distanz, verärgert. Zwei Paare, die an einem anderen Tisch saßen, wandten widerstrebend die Augen von ihr ab und begannen zu tuscheln. Das Tiramisu glänzte auf eine selbstzufriedene Art und blieb resolut still.
»Ja, Sie haben recht, es ist Zeit, dass ich gehe«, sagte Lily und warf viel zu viel Geld auf den Tisch. »Der Käse war zu mächtig, glaube ich … Tut mir wirklich leid. Danke. Wiedersehen.«
Sie stolperte hinaus auf den kleinen Platz, eine gewundene Gasse hinunter, und tauchte in der kühlen Luft der sich leerenden zentralen Piazza auf, wo der Schock Benommenheit, Verwirrung, Verlegenheit wich. Sie musste sich gegen die warme Steinmauer des Papstpalastes lehnen, um sich aufrecht zu halten. Dieser Grappa!
Schließlich überquerte sie schwankend den Platz zu einem Trinkbrunnen in der Ecke und beugte sich lange darüber. Sie hätte eigentlich den ganzen Tag Wasser trinken sollen – was war nur mit ihr los? Es war allgemein bekannt, dass man nach einem Langstreckenflug dehydriert war und für Flüssigkeitsausgleich sorgen musste. Dieses süße Zeug zum Frühstück und die Teller mit dem Pecorino – auch wenn sie nichts davon angerührt hatte. Das war nicht der Punkt. Der Punkt war … oh, zum Kuckuck mit dem Punkt. Der Punkt war nebensächlich. Es gab keinen Punkt.
Das Tiramisu hatte mit ihr gesprochen. Das war schlecht. Das war sehr schlecht. Sie hatte drei halbe Liter Wein getrunken (oder waren es vier?) und ein bisschen Grappa, und das Tiramisu hatte mit ihr gesprochen.
»Ich hätte das verdammte Zeug essen sollen«, sagte Lily zu sich selbst. »Das hätte es zum Schweigen gebracht.«
»Verzeihung?« Ein älterer englischer Herr, der gerade zufällig mit seiner Frau vorbeikam, nahm an, sie hätte mit ihm gesprochen. »Was haben Sie gesagt?«
»Nichts«, murmelte Lily, entsetzt darüber, dass ihre Stimme lallend klang. »Alles in bester Ordnung. Wirklich.«
Der Mann schob seine Frau beschützend fort und sah dabei über seine Schulter hinweg zu Lily.
»Ich glaube, mein Lieber, sie hat zu viel getrunken«, hörte Lily die Frau zu ihrer großen Beschämung sagen.
Der Grappa war schuld. Es würde ihr gut gehen, wäre sie bei Wein geblieben. Der Grappa war zu stark gewesen und hatte sie aus dem
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