Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
vorzustellen, wie sie lachten bei einer Schüssel Pasta und einer Flasche Rotwein in ihrem großen, gemütlichen Haus in Boston, während ihre Söhne zu Besuch waren, um ihre alten Zimmer zu besichtigen, und ihre Freundinnen mitbrachten, die Schmutzwäsche, Geschichten vom Leben außerhalb des Nests. Er beneidete sie. Er beneidete sie alle.
»Meine Frau kann keine Kinder bekommen«, sagte er. »Wir haben es jahrelang versucht, aber aus irgendeinem Grund sollte es nicht sein.«
»Das tut mir leid«, sagte Ingrid.
»Wir haben es auch mit einer Adoption versucht«, fuhr Daniel fort. »Über eine private Agentur. Eigentlich über drei Agenturen. Ich schwöre, mehrere Jahre lang, immer wenn das Telefon klingelte …« Er unterbrach sich und musste an Lilys Gesichtsausdruck denken, wenn der Anruf unweigerlich einen anderen Grund hatte als den, dass eine Schwangere sie auserkoren hatte als Eltern für ihr ungeborenes Baby.
»Meine Frau hat sich nichts mehr gewünscht auf der Welt, als Mutter zu sein, aber dazu ist es nie gekommen«, sagte er.
Ingrid schob ihren Teller zur Seite und dachte an die Leichtigkeit, mit der sie ihre drei vernünftigen Jungs geboren hatte.
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer das gewesen sein muss«, sagte sie.
»Das war erst der Anfang«, sagte Daniel. »Eines Tages kam schließlich der ersehnte Anruf. Brittany aus Chattanooga in Tennessee hatte unsere Akte gelesen und Lily und mich ausgewählt, ihr Kind großzuziehen. Also sind wir ungefähr einen Monat später runtergefahren, direkt zur Entbindungsstation, und haben unsere neugeborene Tochter kennengelernt, Grace.«
»Oh, Daniel!« Sein Lächeln brach Ingrid das Herz.
»Allein der Anblick, als Lily das winzige Bündel herausnahm«, sagte er. »Zu sehen, dass sie endlich hatte, wovon sie so lange geträumt hatte und wofür sie sich so angestrengt hatte – Wahnsinn.«
Er unterbrach sich. Schüttelte die Erinnerung ab.
Ingrid überlegte, ob sie über den Tisch nach seiner Hand greifen sollte, blieb aber ruhig und spitzte die Ohren.
»Wir haben sie besucht, die Kleine, während der nächsten paar Tage im Krankenhaus, und danach durften wir sie mitnehmen in das kleine Apartment, das Lily gemietet hatte, sehr niedlich und gemütlich, weißt du, mit einem Schaukelstuhl und … Egal, jedenfalls war sie ein Naturtalent, meine Frau, man hätte schwören können, dass sie bereits einen ganzen Stall voll Kinder hatte. Es war unglaublich, ihr dabei zuzusehen, wirklich unglaublich. Ich hatte richtig Ehrfurcht vor ihr. Es war, als würde ich einen völlig neuen Menschen sehen. Sie war einfach dazu geboren, Mutter zu sein.«
Lily hatte die sechs Tage alte Grace in einem Tragetuch vor der Brust, als der Anruf kam von Brittanys Anwalt. Daniel bereitete gerade einen Snack in der Küche zu, und Lily war draußen im Garten.
Laut dem Gesetz in Tennessee konnten Pflegeeltern, sobald das Baby sechs Tage alt war, die Vormundschaft beantragen, der erste Schritt in Richtung Adoption. Daniel und Lily hatten einen Termin beim Anwalt, um die Papiere zu unterschreiben, am selben Nachmittag.
Aber bis zum sechsten Tag konnte die leibliche Mutter es sich noch anders überlegen, und genau das tat Brittany. Sie überlegte es sich anders.
Wie der Anwalt erklärte, war Brittanys Großmutter mütterlicherseits im Dunkeln gelassen worden über die Schwangerschaft, hatte jedoch irgendwie Wind davon bekommen und ihrer Enkelin einen Besuch abgestattet, um die Zweiundzwanzigjährige in Angst und Schrecken zu versetzen, weil sie ihren »Abkömmling« wildfremden Menschen überließ.
Brittany lebte in einem Wohnwagen, zusammen mit ihrem arbeitslosen Freund, der nicht Graces Vater war. Sie hatte Lily erzählt, dass sie aufs College wollte und später selber unterrichten, aber dass das mit einem Kind nicht zu machen sei und dass sie der Kleinen ein besseres Leben wünschte als das, das sie hatte.
Trotzdem hatte sie es sich anders überlegt.
Daniel konnte nicht einmal ansatzweise daran denken, ohne automatisch seine Frau vor sich zu sehen, über das Tragetuch gebeugt, während sie leise redete, um Grace nicht zu erschrecken, aber aus so tiefer innerer Überzeugung heraus, dass sich ihm bei der bloßen Erinnerung immer noch die Nackenhaare hochstellten.
Lily wollte die Kleine nehmen und fliehen, nach Mexiko oder Australien oder sonstwohin, irgendwohin, wo sie das bewahren konnte, was sie in der Woche gefunden hatte, als sie Graces Mutter war.
Daniel hatte wenig dazu
Weitere Kostenlose Bücher