Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
der Zukunft, die Lily als ihre gemeinsame betrachtet hatte.
Aber da stand er nun und sah genauso aus wie der Mann, in den sie sich vor all den Jahren Hals über Kopf verliebt hatte. Und hätte sie nicht auf der Piazza grande in Montevedova gestanden und die Hand seiner heimlichen unehelichen Tochter gehalten, hätte sie nie geglaubt, dass er jemals etwas anderes sein könnte.
Schlagartig wurden sie langsamer. Lily fühlte sich so schwer, dass sie kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Francesca hörte auf zu plappern, um zu sehen, was der Grund war, dass Lily plötzlich bummelte.
»Da ist mein Papa!«, rief sie, als sie Daniel entdeckte. »Ich hatte keine Ahnung, dass er hier ist.« Sie ließ Lilys Hand los und rannte zu ihm, während jedes einzelne Klatschen ihrer Sandalen auf dem Kopfsteinpflaster wie ein Schlag auf Lilys Wangen brannte.
Sie hätte das nicht planen können, wurde ihr bewusst. Sie hätte niemals die Wirkung einschätzen können, die sein Anblick auf sie hatte. Trotz ihrer langen beruflichen Erfahrung darin, Probleme zu umschiffen, Alternativen zu suchen, Fallstricke zu meiden, fühlte Lily in diesem Moment nichts als Ratlosigkeit. Hier ging es nicht um Backmischungen und Tabellenkalkulationen. Hier ging es um Fleisch und Blut und die anderen unmöglichen Zutaten, Liebe und Vorgeschichte.
Sie konnte jetzt nicht in die sichere Verlässlichkeit eines Flussdiagramms einsinken. Sie konnte nur sinken.
Sie beobachtete, wie Daniel Francesca auffing, und sein Gesichtsausdruck, während er die Arme ausbreitete für sein kleines Mädchen, bohrte den Dolch in Lilys Brust sogar noch tiefer.
Trauer. Das Wort klingelte in ihrem Kopf so laut wie die Kirchenglocken, die sie jeden Tag gehört hatte, seit sie in Italien war. Trauer. Das war das, was sie fühlte, und oh, den Schmerz, die Leere. Alles, was sie sich gemeinsam gewünscht hatten, besaß Daniel. Da war es, in seine Arme geschmiegt. Er gab Francesca einen Kuss auf den Kopf, und Lily fragte sich, wie sie weiterhin atmen, leben, sich kümmern, hoffen sollte, wie sie mit irgendetwas davon weitermachen sollte nach dem hier.
Und dann sah er sie.
Die ganze kostbare Beherrschung, für deren Perfektionierung Lily Jahre investiert hatte, ließ sie nun im Stich, quetschte ihr Herz zusammen, riss ihr die Haut auf, ließ sie wund und ungeschützt in der glühenden Nachmittagssonne zurück.
Ihre Schultern begannen zu beben, ihre Beine zitterten, und sie presste die Hände vor den Mund, um zu ersticken, was auch immer versuchte herauszukommen. Sie wollte das nicht durchleben. Es war zu viel verlangt, zu viel, um es zu ertragen.
Sie begann, langsam zu Boden zu gehen, aber als ihre Knie sich beugten, drängte plötzlich eine alte Frau an ihr vorbei und rempelte sie an, wobei die Frau ihre Einkaufstasche fallen ließ, aus der mindestens hundert Murmeln heraushüpften.
Murmeln? Klickend und klackend tanzten sie um Lilys Knöchel, während die alte Frau Lily zur Seite schob mit ein paar missbilligenden Lauten und sich nach den Murmeln bückte, als wäre es Lilys Schuld, dass sie überhaupt herausgefallen waren.
»Scusi, scusi, scusi«, sagte die alte Frau, während sie nach Lilys Beinen schlug und sie dadurch zwang, ständig einen Schritt zur Seite zu machen, und plötzlich wurde die Hysterie einfach so unter Lily weggesogen und rollte fort, als wäre sie ebenfalls eine entflohene Murmel.
Als Lily den Kopf hob, stand Daniel wie angewurzelt vor dem kunstvoll verzierten Torbogen über dem Brunnen, während Francesca an ihm hing, und starrte zu seiner Frau herüber, die hin und her gescheucht wurde von einer grauhaarigen alten Frau in Schwarz.
Francesca sah auch herüber und winkte ihr, während sie vor Begeisterung auf der Stelle hüpfte.
Lily kämpfte mit ihrer Beherrschung und schluckte einen Schrei der Verzweiflung herunter, während sie tief durchatmete und noch einmal nach diesem einzelnen Schimmer der Gewissheit griff: dass, wie immer es ausgehen würde, egal wie groß das Durcheinander sein mochte und wie hoch die Kosten, Francesca es verdiente, einen Vater zu haben, der sie liebte und es zeigte.
Wenn es hier um das wertvolle Kind ging und nicht um Lilys in Fetzen hängendes Herz, konnte sie das. Sie machte einen Schritt vorwärts. Daniel hob die Hand an seine Sonnenbrille und schob sie hoch auf den Kopf.
Lily machte einen weiteren Schritt, und wieder einen, während sie sich zwang, ruhig auf ihn zuzugehen, und sich darauf konzentrierte, ein
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