Cantz schoen clever
seinem oder seiner Angebeteten Komplimente macht. Im Hohelied besingen sich zwei Liebende. Von Gläubigen wurde und wird der Text allegorisch ausgelegt: Die beiden Partner stehen für »Christus« und »Kirche« (beziehungsweise im Judentum für »Gott« und »Israel«). Spätestens im 18. Jahrhundert aber glaubten die Aufklärer, im Hohelied ein ganz und gar weltliches Liebeslied mit durchaus erotischen Komponenten zu erkennen. Und auch ich muss sagen: Wenn ich Zeilen lese, wie:
»Mein Geliebter streckte die Hand durch die Öffnung;
da bebte mir seinetwegen das Innerste;
ich erhob mich, meinem Geliebten zu öffnen;
meine Hände tropften von Myrrhe,
meine Finger von Myrrhe,
die über die Griffe des Riegels rann«,
dann denke ich auch eher an meine Frau als an Kardinal Meisner. Wenn man so will, ist Charlotte Roches Feuchtgebiete im Vergleich zum Hohelied ein niedliches, harmloses Kinderbuch! Aber egal, welche Erkenntnisse der Leser aus dem Hohelied gewinnt, es enthält einige Formulierungen,die einfach wunderschön sind. Ob sie sich allerdings als Flirt-Tipps für das 21. Jahrhundert eignen, wage ich zu bezweifeln. Sie können leicht missverstanden werden, wie folgende Liste beweist:
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WIE GEIL IST DAS DENN?
Komplimente aus dem Hohelied und wie sie missverstanden werden können:
Er sagt: »Deine Zähne gleichen der Herde von frisch geschorenen Schafen.«
Sie versteht: »Normalerweise hast du Haare auf den Zähnen.«
Er sagt: »Der Duft deiner Kleider gleicht dem Dufte des Libanon.«
Sie versteht: »Du solltest dir dringend mal was Frisches anziehen.«
Er sagt: »Dein Leib gleicht einem Weizenhaufen.«
Sie versteht: »Iss nicht so viel Müsli.«
Er sagt: »Lieblich ist dein Plaudermund.«
Sie versteht: »Du quatschst zu viel.«
Er sagt: »Deine zwei Brüste sind wie Zwillinge einer Gazelle.«
Sie versteht: »Nicht so schön, aber so behaart.«
Er sagt: »Von deinen Lippen, o Braut, träuft Honigseim.«
Sie versteht: »Du sabberst.«
Er sagt: »Deine Augen sind Tauben.«
Sie versteht: »Deine Augen sind eine Plage. Und wehe, sie kacken auf mein Auto!«
Er sagt: »Dein Haar gleicht einer Herde von Ziegen.«
Sie versteht: »Du siehst aus wie Bob Marley.«
Er sagt: »Deine Brüste sollen nun sein wie Trauben des Weinstocks.«
Sie versteht: »Und wenn du noch länger in der Sonne liegst, werden sie bald sein wie Rosinen.«
Er sagt: »Meiner Stute an den pharaonischen Wagen vergleiche ich dich, meine Freundin.«
Sie versteht: »Ich will dir den Hengst machen.«
Sie sagt: »Mein Geliebter ist weiß und rot. Er ragt hervor aus Zehntausend.«
Er versteht: »Wie peinlich: Ich bin hier in Bremen der einzige VfB-Stuttgart-Fan weit und breit!«
Sie sagt: »Seine Backen sind Schreine voll Würzwerk.«
Er versteht: »Ich habe Pfeffer im Arsch.«
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Bei allen Bedenken wegen des möglicherweise zweideutigen Textes: Das Hohelied ist einer der größten Hits der Weltgeschichte. Kein Wunder bei der Zielgruppe: Über eine Milliarde Katholiken gibt es weltweit. Dazu kommen noch die 13,5 Millionen Anhänger der jüdischen Religion, denn das Hohelied ist nicht nur in der Bibel überliefert, es ist auch Teil des Tanach, der Heiligen Schrift des Judentums. So viele Fans hatten nicht einmal die Beatles, auch wenn John Lennon das 1966 bekanntlich anders sah und behauptete, die Beatles seien beliebter als Jesus Christus. Das ist natürlich ein völlig unzulässiger und auch unfairer Vergleich – die Beatles waren immerhin zu viert. Andererseits bekommt auch Jesus Schützenhilfe aus seinem Umfeld. Zu Lebzeiten standen ihm seine zwölf Jünger zur Seite.
Heute sind die Bedürfnisse der Gläubigen auf die Schultern unzähliger Schutzpatrone verteilt. So ist der heilige Nikolaus der Schutzpatron der Kinder, der heilige Ambrosius hat ein waches Auge auf Bienen und andere Haustiere, und die heilige Anna kümmert sich gemeinsam mit der ebenfalls heiligen Barbara um die Belange der Bergmänner. Von den vier Heiligen wird der eine oder andere vielleicht schon einmal gehört haben, vor allem, wenn es sich um einen siebenjährigen Imker aus Essen-Borbeck handelt. Aber wer kennt schon die Damen und Herren, die sich um die modernen Belange unserer heutigen Zeit kümmern?
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GUT ZU WISSEN
Schutzpatrone für moderne Angelegenheiten:
Flugbegleiter: Bona von Pisa
Radiosprecher: Erzengel Gabriel
Sozialarbeiter: Franz von Assisi
Steuerberater: Mammas
Taxifahrer: Fiacrius
Internet: Isidor von Sevilla,
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