Cantz schoen clever
waren die Ansprüche noch andere: Da reichte uns WDR 3, ein hartgekochtes Ei und Autoquartett – dann war Ruhe von Köln bis Innsbruck. Das einzige zusätzliche Bordprogramm waren die vier Packungen Lord Extra meiner Eltern. Passivrauchen gab es noch nicht. Wir waren aktiv dabei!
Mein Bruder beließ es allerdings nicht beim Husten. Ihm wurde vom Zigarettenrauch nämlich regelmäßig speiübel. Spätestens in dem Moment, als mein Vater auf die Autobahn-Auffahrt fuhr, begann er zu würgen, und meine Mutter, die schon wusste, was kam, brüllte: »Fenster auf! Kopf raus!« Wie Sie sicherlich wissen, verfügt der Citroën 2 CV in den hinteren Türen über keinerlei Fenster, die man öffnen konnte … Es sollte die letzte Urlaubsreise sein, die wir in dem sympathischen französischen Kleinwagen machten. Seitdem fuhren wir Autos, bei denen sich auch in den rückwärtigen Türen die Fenster öffnen ließen.
Ich erinnere mich an eine Fahrt, die uns vier in den Winterurlaub führte: Die Außentemperatur betrug minus 4 °C, und mein Bruder hing von den insgesamt 755 Kilometern nach Pfalzen in Südtirol die ersten 320 Kilometer mit dem Kopf außerhalb der Fahrgastzelle. Es war so kalt im Auto, dass meinen Eltern beinahe die Zigaretten an den Lippen festgefroren wären. Mein Bruder hielt sich wacker im Fahrtwind. Auf der Höhe von Nürnberg-Feucht bildete sich leichter Gefrierbrand auf seinen Wangen. Ich hatte Glück. Ich vertrugden Zigarettenrauch meiner Eltern besser als er. Mir wurde erst schlecht, wenn meine Mutter mir ihre Allzweckwaffe unter die Nase hielt: Erfrischungstücher! So erging es uns auf jeder längeren Autofahrt: Mindestens einem Kind war immer schlecht. Im engen Innenraum unseres Kleinwagens hätte es eigentlich permanent leicht bitter nach Kinderkotze riechen müssen. Tat es aber nicht. Es roch stattdessen nach Kölnisch Wasser und einem riesengroßen erkalteten Aschenbecher.
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GUT ZU WISSEN
Die beliebtesten Verkehrsmittel für Urlaubsreisen 2000–2011:
Auto
52,8 %
Flugzeug
36,1 %
Bus
5,3 %
Schiff
3,9 %
Zug
3,5 %
Die unbeliebtesten Verkehrsmittel für Urlaubsreisen 2000–2011:
Panzer
0,4 %
Esel
0,2 %
Einrad
0,1 %
Hüpfball
0,01 %
Igel
0,00001 %
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Wer heute mit Kindern Autoreisen unternimmt, ist natürlich ungleich besser ausgestattet als wir damals. Die Sicherheits-Standards haben sich zum Beispiel verändert. Werheute seinen Nachwuchs im Auto ohne Kindersitz, Airbags und Seitenaufprallschutz auch nur zum Eiscafé an der Ecke fährt, der hat sofort das Jugendamt am Hals und wird schon am nächsten Tag bei RTL von der Super Nanny öffentlich auf die stille Treppe gesetzt. Ein modernes Familienfahrzeug, das den aktuellen Sicherheitsanforderungen genügt, ist also Voraussetzung. Und auch das Unterhaltungsangebot für die Kleinen sollte auf der Höhe der Zeit sein: Kein Kind gibt sich mehr mit »Ich sehe was, was du nicht siehst« zufrieden, während es mit seinen Eltern vier Stunden lang im Brenner-Tunnel im Stau steht.
Im Prinzip ist es ganz einfach: Wer auf alle Eventualitäten vorbereitet sein will, muss an alles denken. Und das klappt nicht immer. Mein Bruder hat das letztens leidvoll erfahren. Er wollte mit Frau und Tochter Marie in den Urlaub fahren, hatte alles genau geplant und sogar eine Checkliste erarbeitet, mit der er alles noch einmal kontrollierte: Reifendruck, vollgetankt, Kinderwagen, Proviant, Spielzeug, Ersatzhose, Kotztüte, Bügeleisen aus- bzw. Klopapier eingesteckt, Navi programmiert, Kellerfenster zu, Katze gefüttert, alles eingepackt, verstaut, vertäut und abgehakt – wunderbar. Endlich ging es los. Doch nach 300 Kilometern schlug sich mein Bruder mit der Hand vor die Stirn und sagte: »Du, Schatz! Ich glaube, ich habe das Wickelzeug für unsere Tochter vergessen.« Darauf meinte seine Frau: »Nicht so schlimm. Ich habe auch was vergessen – die Marie.«
Immer noch besser als das, was einem Kumpel von mir passiert ist. Seine Frau wollte mit vier Freundinnen ein Wellness-Wochenende im Sauerland verbringen: drei Tage Entspannung pur mit der Frottee-Flotte. Er plante, in der Zeit mit den beiden gemeinsamen Kindern nach Holland zum Zelten zu fahren. So wie früher: dreckig werden, Gemeinschaftsdusche und Dosenravioli – gerne auch kalt. Leider kam es ganz anders: Beiden Kindern wurde schlecht, der Junge bekam plötzlich Fieber, das Mädchen klemmte sich die Haare im Fenster ein, und es gab eine fiese Schlägerei auf der Rückbank, bei der insgesamt drei Milchzähne und ein
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