Cantz schoen clever
waren noch limitiert, was die generellen Möglichkeiten betraf. Denn stark eingeschränkte geografische Kenntnisse sowie eine gewisse Schlichtheit der Verkehrsmittel machten die ganz großen Sprünge unmöglich: Wo will man schon hin, wenn man nur einen Esel zur Verfügung hat und außerdem mit der Angst lebt, dass man kurz hinter Wuppertal von der Erdscheibe purzelt?
Die Entdeckungsfahrten der Renaissance legten schließlich die Grundlagen für den heutigen Ferntourismus. Aber diese frühen Überseefahrten waren extrem gefährlich, dauerten ewig und waren zudem anfangs noch stark fehlerbehaftet: Der berühmteste aller Entdecker, der Genueser Seefahrer Christoph Kolumbus, wollte bekanntlich einen westlichen Seeweg nach Indien finden und entdeckte dabei versehentlich Amerika. Schön für ihn. Ich für meinen Teil weiß nicht, ob ich so begeistert davon gewesen wäre, wenn ich bei meinem sündhaft teuren Malediven-Urlaub nach der Hälfte der Zeit hätte feststellen müssen: Eigentlich bin ich auf Borkum.
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DAS GEHT JA GAR NICHT!
Obwohl Christoph Kolumbus (der als Italiener eigentlich Cristoforo Colombo hieß) als Entdecker Amerikas gefeiert wird, war er selbst zeit seines Lebens fest davon überzeugt, dass er am 12. Oktober 1492 nicht die Bahamas, sondern indischen Boden betreten hatte: Kolumbus glaubte, den Seeweg nach »Hinterindien« (nicht zu verwechseln mit Hintertupfingen) gefunden zu haben. So kam es, dass der neue Kontinent nicht nach ihm, sondern nach dem Florentiner Kaufmann und Seefahrer Amerigo Vespucci benannt wurde, der 1497 (oder 1499) erstmals in der Gegend unterwegs war und im Gegensatz zu seinem Genueser Kollegen erkannte, dass er einen neuen Kontinent betreten hatte. Hätte Kolumbus schneller geschaltet, wäre Barack Obama heute Präsident der Vereinigten Staaten von Cristofora, und der 5,71 Meter lange Cadillac Eldorado V8 wäre kein Ami-, sondern ein typischer Crissi-Schlitten.
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Es sollte noch einige Jahrhunderte dauern, bis die Zeit reif war für die Form von Massentourismus, wie wir ihn heute kennen und praktizieren. In der Zeit dazwischen entdeckten erst die Adligen und später auch das Bürgertum sogenannte Bildungs- und Kavaliers-Reisen innerhalb Europas. Noch bevor auf der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert das Fernweh bei jungen Menschen zur Modekrankheit wurde, unternahm Johann Wolfgang von Goethe eine der wohl berühmtesten Bildungsreisen überhaupt: Seine legendäre italienische Reise dauerte von 1786 bis 1788. Und Goethe bildete sich in den anderthalb Jahren garantiert erheblich weiter. Ich bin sicher, die am häufigsten benutzten Vokabeln seiner Bildungsreise hat er bis zu seinem Tod nicht mehr vergessen: »Chianti«, »Frascati« und »Pinot Grigio«.
Erst mit der Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts und der Erfindung von Eisenbahn und Dampfschiff wurde das Reisen dann langsam, aber sicher zum Volkssport. Und so richtig auf den Geschmack wurden die Deutschen schließlich von Josef Neckermann gebracht: 1963 vertickte der Versandhandelskönig seine ersten Flugreisen. Damit wurde in Deutschland ein Reise-Boom losgetreten, der bis heute unvermindert anhält.
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WIE GEIL IST DAS DENN?
Der Brite Thomas Cook führte am 5. Juli 1841 eine Art ersten Vorläufer der Pauschalreise durch: Bei einem von ihm organisierten Ausflug fuhren 570 Menschen zum Sonderpreis von einem Shilling im Zug von Leicester nach Loughborough. Und das war inklusive:
Hin- und Rückfahrt in offenen Waggons ohne Sitzplätze,
ein Schinkenbrot,
eine Tasse Tee.
Immerhin mehr, als die meisten Billigflieger anbieten.
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In den unbeschwerten Jahren meiner Kindheit sind sich Familie Cantz und Familie Neckermann nie begegnet. Wir fuhren zwar regelmäßig in Urlaub, aber meine Eltern bevorzugten kein pauschales, sondern ein ganz individuelles Verkehrsmittel: das Auto. Mein schwäbischer Vater war sich sicher, so auf besonders kostensparende Art von A nach B zu kommen. Und meine Mutter glaubte, eine Autofahrt sei mit zwei kleinen Jungs die entspannteste Art zu reisen. Gut, mein Bruder und ich konnten nicht weglaufen,keine Notbremse ziehen und nicht ins Wasser fallen, aber ich frage mich, wie entspannt es für meine Eltern wirklich war, von Köln nach Österreich zu fahren. In einer Ente. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h, zwei unausgeglichenen Jungs auf dem Rücksitz – und weit und breit kein MP 3-Player, kein Gameboy und keine Juniortüte. Heute wäre das unvorstellbar. Aber damals
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