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Capitol

Capitol

Titel: Capitol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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widerstehen muß. Einst war Amerika ein freies Land. Aber solange man unsere Gehälter bezahlt, scheinen wir mit unserem Sklavendasein zufrieden! Ich bekenne mich nicht schuldig, denn jede Tat, die dazu beiträgt, die russische Zwangsherrschaft über irgendeine Nation der Welt zu schwächen, ist ein Schlag im Kampf für alle Dinge, die das Leben lebenswert machen, und gegen jene, die als einzigen Gott die Macht anbeten!«
    Ah, Eloquenz. Aber bei seinen Proben hatte er nicht im Traum daran gedacht, daß er auch nur so weit kommen würde. Und er sah noch keine Anzeichen, daß sie ihn unterbrechen würden. Er schaute von der Kamera weg. Er sah zum Ankläger hinüber, der auf einem gelben Block Notizen machte. Er sah Charlie an, und Charlie schüttelte resigniert den Kopf und steckte seine Unterlagen in die Mappe zurück. Niemand schien besonders besorgt darüber zu sein, daß Jerry diese Dinge sagte, obwohl alles live übertragen wurde. Und die Übertragung war live – das hatten sie betont, damit er sich von Anfang an korrekt verhielt, denn alles war live.
    Sie hatten natürlich gelogen. Und Jerry redete nicht weiter sondern steckte die Hände in die Taschen, aber er entdeckte, daß der ihm zur Verfügung gestellte Anzug gar keine Taschen hatte (spart Geld, indem ihr Unnützes vermeidet, hieß der Wahlspruch), und er ließ die Hände hilflos an seinen Hüften hinabgleiten.
    Der Ankläger sah überrascht auf, als der Richter sich räusperte. »Oh, ich bitte um Verzeihung«, sagte er. »Die Reden dauern meistens viel länger. Mr. Crove, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Kürze.«
    Jerry quittierte seine Worte mit einem spöttischen Kopfnicken, aber ihm war nicht nach Spott zumute.
    »Wir veranstalten immer ein Platzpatronenschießen«, sagte der Ankläger, »wenn wir euch bei eurer letzten Chance erwischen wollen.«
    »Wußten das alle?«
    »Nun, alle außer Ihnen natürlich, Mr. Crove. Also gut, Sie können alle nach Hause gehen.«
    Die Zuhörer erhoben sich und verließen den Raum.
    Der Ankläger und Charlie standen auf und traten vor den Richter hin. Der Richter stützte das Kinn in die Hände und sah gar nicht mehr väterlich aus, nur ein wenig gelangweilt. »Wieviel wollen Sie?« fragte er.
    »Unbegrenzt«, sagte der Ankläger.
    »Ist er wirklich so wichtig?« Jerry hätte ebensogut wegbleiben können. »Schließlich werden die schweren Fälle in Brasilien erledigt.«
    »Mr. Crove ist ein Amerikaner«, sagte der Ankläger, »der es für gut befand, daß ein russischer Botschafter ermordet wurde.«
    »Ist ja in Ordnung«, sagte der Richter, und Jerry wunderte sich, daß der Mann ohne den geringsten russischen Akzent sprach.
    »Gerald Nathan Crove. Das Gericht hält Sie des Mordes sowie des Verrats an den Vereinigten Staaten von Amerika und seinem Alliierten, der Union Sozialistischer Sowjetrepubliken für überführt. Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor das Urteil verkündet wird?«
    »Ich möchte gern wissen«, sagte Jerry, »warum Sie alle englisch sprechen.«
    »Weil«, sagte der Ankläger eiskalt, »wir in Amerika sind.«
    »Warum machen Sie sich überhaupt die Mühe, Prozesse zu führen?«
    »Um andere Schwachsinnige von solchen Taten abzuhalten. Er sucht nur Streit, Euer Ehren.«
    Der Richter ließ seinen Hammer niedersausen. »Das Gericht verurteilt Gerald Nathan Crove zum Tode durch jedes verfügbare Mittel, bis zu dem Zeitpunkt, da er sich beim amerikanischen Volk überzeugend für seine Tat entschuldigt. Die Sitzung ist geschlossen. Gott im Himmel, habe ich Kopfschmerzen.«
     
    *
     
    Sie verschwendeten keine Zeit. Um fünf Uhr morgens. Jerry war eben erst eingeschlafen. Das hatten sie wahrscheinlich kontrolliert, denn sofort weckten sie ihn mit einem brutalen Elektroschock durch den Metallfußboden, auf dem Jerry lag. Zwei Wachen – diesmal Russen – stürzten herein und zogen ihn aus. Dann schleppten sie ihn in den Hinrichtungsraum, obwohl er freiwillig gegangen wäre, wenn sie das zugelassen hätten.
    Der Ankläger wartete schon. »Man hat mir Ihren Fall übertragen«, sagte er, »weil Sie eine Herausforderung sind. Sie haben ein interessantes psychologisches Profil. Sie wollen gern ein Held sein.«
    »Nicht, daß ich wüßte.«
    »Sie haben das im Gerichtssaal gezeigt, Mr. Crove. Sie kennen zweifellos – Ihr zweiter Vorname läßt das vermuten – die letzten Worte des Spionage-Agenten Nathan Hale aus dem amerikanischen Revolutionskrieg. ›Ich bedaure, daß ich nur ein Leben habe, das ich für mein

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