Capitol
daß ich nicht wirklich sterben werde. Wenig später werde ich im Nebenzimmer wieder wach sein.
Aber sein Körper war nicht überzeugt. Es half nichts, daß, wenn dies vorüber war, ein neuer Jerry Crove aufstehen und davongehen würde. Dieser Jerry Crove mußte sterben.
»Auf was wartet ihr noch?« fragte er, und als ob das ihr Stichwort gewesen wäre, zogen die Wachen am Strick und hoben ihn in die Luft.
Es war gleich zu Anfang schlimmer, als er gedacht hatte. Schmerzhaft fest lag der Strick um seinen Hals; Widerstand kam überhaupt nicht in Frage. Das Erstickungsgefühl war zuerst nicht so schlimm. Es war, als ob man im Wasser untertauchte und die Luft anhielt. Aber vom Strick tat ihm der Hals weh, und er wollte vor Schmerz aufschreien. Seine Kehle brachte keinen Laut hervor.
Jedenfalls nicht gleich.
Jetzt wurde am Strick hantiert, und er hüpfte auf und ab, als die Wachen ihn an einem Wandhaken befestigten. Einmal berührten Jerrys Füße sogar den Boden.
Als der Strick wieder ruhig hing, kam der ganze Strangulierungseffekt zum Tragen, und der Schmerz war vergessen. In Jerrys Kopf hämmerte das Blut. Seine Zunge schien immer dicker zu werden. Er konnte die Augen nicht schließen. Und nun wollte er atmen. Er mußte atmen. Sein Körper brauchte Atem.
Er hatte seinen Körper nicht unter Kontrolle. Zwar sagte ihm sein Verstand, daß es unmöglich war, mit den Füßen den Boden zu erreichen, und er wußte, daß er nur vorübergehend tot sein würde, aber im Augenblick hatte sein Verstand nicht viel Einfluß auf seinen Körper. Er trat mit den Füßen aus und versuchte, den Boden zu erreichen. Seine Hände zerrten an den Stricken.
Und die ganze Anstrengung ließ unter dem Blutandrang seine Augen nur noch weiter aus den Höhlen treten; er brauchte nun noch mehr Luft, er brauchte sie noch verzweifelter.
Es gab keine Hilfe für ihn, aber dennoch versuchte er um Hilfe zu schreien. Der Laut drang aus seiner Kehle – aber auf Kosten der Luft. Er hatte das Gefühl, als ob ihm die Zunge in die Nase gestoßen wurde. Er zappelte noch heftiger, obwohl jede Bewegung eine einzige Qual war. Er drehte sich am Strick; sah sich kurz im Spiegel. Sein Gesicht wurde purpurrot.
Wie lange wird es noch dauern? Gewiß nicht viel länger.
Aber es dauerte noch viel länger.
Wenn er unter Wasser gewesen wäre und die Luft angehalten hätte, müßte er jetzt aufgeben und wäre ertrunken.
Wenn er eine Waffe und eine freie Hand hätte, würde er sich jetzt erschießen, um diese Qual zu beenden, das reine physische Entsetzen, nicht atmen zu können. Aber er hatte keine Waffe, und er konnte nicht einatmen, und wild klopfte das Blut in seinem Kopf. Ihm wurde ganz rot vor Augen, und schließlich sah er gar nichts mehr.
Er sah nichts außer dem, was ihm durch den Kopf ging, und das war ein Durcheinander, als versuche sein Verstand fieberhaft, etwas zu arrangieren, das die Strangulierung rückgängig machte. Immer wieder sah er sich in dem Bach hinter seinem Haus, in den er als Kind gefallen war, und jemand warf ihm ein Seil zu, aber er konnte und konnte es nicht erreichen, und dann plötzlich legte es sich um seinen Hals und zog ihn unter Wasser.
Schwarze Flecken stachen ihm in die Augen. Sein Körper fühlte sich aufgedunsen an, und dann brach es aus ihm hervor, seine Eingeweide, seine Blase und sein Magen stießen alles aus, was in ihnen war. Nur das Erbrochene blieb ihm in der Kehle stecken, wo es häßlich brannte.
Die Bewegungen seines Körpers gingen in wilde Zuckungen und Krämpfe über, und einen Augenblick lang hoffte Jerry, bewußtlos zu werden. Aber dann entdeckte er, daß der Tod nicht so freundlich ist.
Es gibt kein ruhiges Hinübergleiten im Schlaf. Es gibt kein schnelles Sterben, keinen Tod, der barmherzig die Schmerzen beendete.
Innerhalb einer Zehntelsekunde weckte ihn der Tod aus seiner beginnenden Bewußtlosigkeit. Aber dieses Zehntel einer Sekunde dauerte endlos lange, und in dieser Zeit erlebte er die unendliche Qual der bevorstehenden Nichtexistenz. Sein Leben zog nicht an seinen Augen vorüber. Statt dessen explodierte der Mangel an Leben in ihm und verursachte weit größere Schmerzen und viel schlimmere Angst als der Vorgang des Hängens selbst.
Und dann starb er.
Einen Augenblick hing er wie vergessen und fühlte und sah nichts. Dann stach ihm Licht in die Augen, und weicher Schaum löste sich von seiner Haut, und der Ankläger stand da und schaute zu, wie er keuchte und würgte und sich mit der Hand an die
Weitere Kostenlose Bücher