Cappuccino fatale
habe diese Filme nie verstanden, in denen Frischverliebte direkt nach dem
Wachwerden wieder zur Sache kommen, ohne auch nur mal kurz aufs Klo zu gehen
oder sich – noch wichtiger –die Zähne zu putzen. Ich halte das für eine der
unlogischsten, weltfremdesten Szenen der Filmbranche, mit der die Menschheit
immer wieder veralbert wird. Mit mir wird es das jedenfalls nicht geben.
»Guten Morgen«, brummt plötzlich jemand neben mir.
»Hast du gut geschlafen?« Ich streichele Paolo über die Wange.
»Sehr gut, danke«, kommt die Antwort. Er stützt sich auf einen
Ellenbogen und schaut mich tadelnd an. »Aber nicht so gut wie du «, fügt er hinzu.
»Warum?« Ich verstehe nicht.
Paolo richtet sich auf und schaut mich an. »Du bist gestern
eingeschlafen, während wir es noch gemacht haben«, rügt er mich.
»Oh, echt? Das tut mir leid.« Ich muss grinsen. Leider kann ich mich
nicht mehr klar erinnern – es war einfach zu oft. Ich greife nach der Schachtel
auf dem Nachttisch, auf die das Bild eines Liebespaares im Sonnenuntergang
aufgedruckt ist, und gucke hinein.
»Brauchst nicht nachzuschauen, die ist leer, bella .
Wir haben alle aufgebraucht. Aber mach dir keine Sorgen, du hast gut
durchgehalten.«
Ich werfe mit der leeren Schachtel nach ihm.
Wenige Stunden später bin ich zurück in der harten
Realität: im Zug nach Mailand. Dieses Mal konnte ich mit Ach und Krach einen
Platz reservieren und sitze an einem Vierertisch mit einem Ehepaar und seinem
unerzogenen vierjährigen Sohn mit blonden Locken, der permanent meckert und
zetert. Ich bin kurz davor, ihn vors Schienbein zu treten. Dürfen sich Kinder
in Italien eigentlich alles erlauben?
Ich lenke mich ab, indem ich eine SMS an
Paolo schreibe.
»Kann es nicht erwarten, dich wiederzusehen. N.«
Kurz darauf fiept mein Handy zurück: »Geht mir genauso. P.«
Ich lehne mich in meinem Sitz zurück und schaue verträumt aus dem
Fenster, während draußen die Dörfer und Wälder Umbriens an mir vorbeifliegen.
Was für ein Wochenende! Es hat so bescheiden angefangen und nun könnte ich die
ganze Welt umarmen, so verliebt bin ich.
So verliebt wie lange nicht mehr. Oder vielleicht wie noch nie.
18.
Kurz vor den Abendnachrichten stehe ich bei Giorgio im
Hausflur und hänge meine Jacke auf den Haken an der Wand. Mein
jugendlich-senioriger Vermieter kommt mit verschlafenem Gesicht aus seinem
Zimmer geschlurft.
»Hast du etwa schon geschlafen?«
»Nein, jetzt doch noch nicht.« Giorgio winkt ab. »Ich war heute in
den Bergen zum Klettern und muss eingenickt sein, als ich mich kurz hingesetzt
habe.«
»Ach so, verstehe.«
»Come stai?«, will Giorgio wissen. »Wie
war dein Liebeswochenende mit dem schönen Unbekannten?«
Seinen spöttischen Unterton beschließe ich zu ignorieren und grinse
ihn stattdessen nur vielsagend an.
»Ahhaa, brava, tesoro «, sagt Giorgio
bewundernd. »Hast du dir genommen, was dir zusteht?«
Die Frage quittiere ich erneut mit hochmütigem Schweigen und greife
nach meiner Tasche, um sie in mein Zimmer zu bringen.
»Siehst auch gut aus, dieses Mal«, höre ich ihn noch hinter mir
herrufen. »Weder zerzaust noch mit Holzspänen übersät. Der Kerl hatte wohl ein
echtes Bett.«
Wir treffen uns in der Küche wieder, als ich meine Wäsche in die
Waschmaschine schieben will. Giorgio steht an der Spüle und trocknet Geschirr
ab.
» Aperitivo ?«, fragt er knapp.
»Bei Luca?«
»Klar, wo sonst.«
Luca erwartet uns freudestrahlend hinter seinem Tresen,
als wir ein paar Minuten später sein schmuckloses Etablissement betreten, und
macht sich sofort daran, uns den obligatorischen sprizz zu mixen.
»Drei bitte«, ordert Giorgio.
»Warum drei?« Ich blicke mich suchend in der Bar um.
»Ich erwarte noch jemanden«, lautet die Antwort.
»Ach«, spotte ich mit gespielter Empörung, »ich dachte schon, dieser
Abend gehört nur uns beiden.«
»Das haben schon viele andere Frauen vor dir gedacht«, kommentiert
Luca trocken und stellt mit übertriebener Höflichkeit ein Glas vor mir und zwei
vor Giorgio ab. »Nun, mein Lieber, mit welcher Dame willst du uns denn heute
noch beehren?«
»Mit einer Freundin.« Giorgio gibt sich zugeknöpft und wirft einen
Blick auf seine Armbanduhr.
»Ich warne dich.« Ich proste ihm mit feierlicher Geste zu. »Wenn ich
wieder als Zeugin bei einem deiner berühmten Abschlussgespräche herhalten muss,
werde ich böse.«
»Nina ist heute nämlich ganz auf amore eingestellt, weißt du?«, informiert mein
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