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Caras Gabe

Caras Gabe

Titel: Caras Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maya Trélov
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Erscheinen des Engels in ihrer Mitte waren die Menschen ängstlich zurückgewichen, doch nun, da sie Lurian erkannt hatten, drängten sie vorwärts. Manche Frauen hoben ihm ihre weinenden, rußbeschmierten Kinder entgegen, doch die meisten streckten ihre Arme nach ihm aus, stießen andere zur Seite, riefen, bettelten und forderten Hilfe.
    Lurian legte eine Hand auf meine Schulter und zog mich an sich. Die andere hob er hoch über seinen Kopf. Über uns stoben die tiefhängenden Wolken auseinander. Sonnenlicht strömte durch den Riss auf die Gassen hinab und überflutete alles mit einem warmen, hellen Glanz. Wo die Sonnenstrahlen sie berührten, breitete sich Erleichterung in den Gesichtern der Menschen aus und gönnte ihnen einen Augenblick der Ruhe.
    „Was passiert mit ihnen, wenn die Lichtträger hier auftauchen?“, fragte ich leise.
    Ein melodiöses Klirren erklang, so sanft wie Kristalle, die auf Eis tröpfelten, als Lurian seine Flügel ineinander faltete. „Im Augenblick sind sie sicher, weil ich hier bin. Doch ich kann nicht überall gleichzeitig sein.“
    Mit den Worten nahm er meine Hand und führte mich durch die Straßen von Wulfrins Tor. Nach einer Weile erkannte ich, dass die Stadt in die Flanke eines Berges gehauen war. Ein gewaltiger Bogen, dessen Fels man schroff und kantig belassen hatte, trennte den Eingang von der oberen Stadt zu der unteren. Der untere Teil war weitläufiger und bestand größtenteils aus Holzhäusern, die sich wie verschüchterte Kinder aneinander und an die kalte Stadtmauer des oberen Teils klammerten.
    Lurian und ich standen auf dem ringförmigen Halbkreis, der eine enorm hohe und felsige Mauer um den oberen Teil bildete. Von der anderen Seite wurde die Stadt vom Berg umschlossen, dem Wulf Rien, was so etwas wie Schrei der Wölfe bedeutete. Lurian erklärte mir, dass der Wind, der um seine Spitze wehte, sich anhörte wie eine Horde heulender Wölfe.
    Aus diesem Berg war die Burg gehauen worden. Als eine seltsame Mischung aus schlanker Eleganz und Trutzbau überblickte sie die obere und die untere Stadt wie ein steinerner Geier, der im Begriff war, sich aus dem Berg zu stoßen und in die Lüfte zu schwingen.
    Hier oben auf der Mauer konnte man das Elend in den unteren Vierteln gut überblicken. Eine große Traube Menschen war uns gefolgt, doch die Wachen hatten sie nicht auf die Stadtmauer hinaufgelassen und so wimmelte es zu beiden Seiten der steilen Mauer von verdreckten, frierenden, in Lumpen gekleideten Menschen. Dies waren die Flüchtlinge aus Gibbons Tal und die Armen von Wulfrins Tor. Angeblich tat der Fürst sein Bestes, doch für diese Unglücklichen gab es weder Essen, noch Platz oder Mitleid.
    „Es wird nicht lange dauern“, sagte Lurian, „bis ein Verzweifelter aus der unteren Stadt den Worten der Priester Gehör schenkt und alles in Brand steckt.“
    Meine Hände umklammerten den Rand der Stadtmauer wie im Todesgriff. „Warum sollte jemand auf sie hören?“
    Auf dem Weg zur Stadtmauer hatte ich weder Priester noch ihre weißbemalten Kirchen gesehen. Nur hungrige Horden ohne Hoffnung in den eingefallenen Gesichtern. Allein der Anblick der Siedlung unter mir war schlimmer. Wenn der Wind richtig stand, wehte er den Gestank sogar bis zu uns empor. Die Menschen sahen aus wie vernachlässigte Tiere, die man in einen zu engen Stall gepfercht hatte. Die Holzhäuser wuchsen ohnehin schon verschachtelt und geduckt, doch nun waren unzählige provisorische Wohnplätze errichtet worden, die die Straßen und Plätze verstopften.
    Ich riss mich von dem Anblick los und sah zu Lurian. „Was können wir tun?“
    Die Augen des Engels waren starr auf die untere Stadt gerichtet. Eine Hand hatte er zur Faust geballt, die andere schloss sich um eine Zinne der Stadtmauer. Der Stein bröckelte unter seinem Griff.
    „Lurian“, keuchte ich erschrocken.
    Sein Kopf ruckte zur mir herum, der Blick seiner Augen war so kalt wie das Herz des Winters. „Wir können es machen wie der Fürst und hoffen, dass der nahende Winter uns von dem Problem befreit.“
    Verständnislos versuchte ich Worte zu formen, doch ich fand keine. Lurian schüttelte den Kopf. Das Lächeln, das sich auf seinem Gesicht formte war bösartig und voller von Hass. „Wir können Marmon das gläserne Herz aus der Brust reißen.“
    Ich wollte gerade etwas entgegnen, da wurde ich einer Bewegung unter uns gewahr. „Was ist das?“, fragte ich und zeigte auf die Stelle, an der ich etwas hatte aufblitzen sehen, das eine

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