Caras Schatten
vergraben. Er hieß Mike oder Mack oder so ähnlich. Er beugte sich vor.
»Hallo zusammen.« Seine Stimme dröhnte durch die Turnhalle. Die Gespräche verebbten zu leisem Gemurmel. Etliche Schüler drehten sich um. »Also, wie ihr ja alle wisst, fangen am Donnerstag die Homecoming-Veranstaltungen an. Und Sydney war schließlich Cheerleaderin und ein großer Fan unserer Schule, also …« Er räusperte sich. »Also, ich meine …«
Komm zum Punkt, Mike. Mack.
»… ich wollte euch alle bitten … Wenn ihr dieses Wochenende ein Spiel oder einen Wettkampf habt, dann spielt alle für Sydney!« Seine Stimme schwoll am Ende des Satzes an und brach sich an den Wänden der Turnhalle, dabei schoss seine Faust emphatisch in die Höhe. Die Menge klatschte und jubelte.
Cara wirbelte herum und stemmte sich gegen die schwere Hallentür. Endlich wehte ihr ein frischer Luftzug ins Gesicht. Heftig atmend und mit geballten Fäusten sprintete sie über den Parkplatz. Ihre Turnschuhe schlugen gegen den glatten schwarzen Asphalt. Schließlich verlangsamte sie ihr Tempo. Das Zucken an ihrem Auge ließ allmählich nach. Sie lehnte ihren Kopf gegen das Dach eines Ford Explorer, dessen sonnenwarme Oberfläche sich heiß gegen ihre Stirn drückte. Plötzlich brannten ihr Tränen in den Augen. Sydney war tot und alle Welt tat so, als wäre sie die beliebteste Schülerin der ganzen Schule gewesen.
Hör endlich auf, dich wegen dieser Schwachköpfe verrückt zu machen, Cara , hörte sie Zoe im Geiste sagen. Sie sind es nicht wert.
Was, wenn sie selbst sterben würde?, fragte sich Cara. Der Rest der Welt würde nicht mal was bemerken. Na gut, ihre Eltern schon, aber die wären höchstwahrscheinlich froh, dass sie sich nicht mehr mit ihrer schwierigen Teenagertochter unterhalten müssten. Cara hob den Kopf und rieb sich mit den Knöcheln über die Augen.
Wenigstens gab es einen Menschen, dem ihr Tod nicht egal wäre. Zoe würde sie vermissen.
Kapitel 7
A m Donnerstagabend hockte Cara im Aufwärmbereich neben der Aschebahn und dehnte ihr rechtes Bein. Sie drückte die Stirn gegen ihr Knie und versuchte das blubbernde Gefühl in ihrer Magengrube zu ignorieren.
Über ihr kreisten zahllose Motten um die riesigen Flutlichter und begingen rituellen Selbstmord, indem sie geradewegs in die heißen Halogenstrahler flogen. Die glänzenden Metalltribünen schienen durch die Dunkelheit der Nacht zu treiben wie ein silbernes Schiff, auf dem sich Freunde und Eltern in bunten Jacken zusammengeschart hatten. Es war ein ziemlich großes Publikum für einen Leichtathletikwettkampf, vermutlich weil es sich um ein Homecoming-Rennen handelte. Ihre Eltern mussten natürlich wie immer arbeiten. Eine wichtige eidesstattliche Erklärung, hatte Mom gesagt. Ihre Anwesenheit sei leider unerlässlich. Cara war es sogar ganz recht. So mussten ihre Eltern die Katastrophe wenigstens nicht mit ansehen.
Vorsichtig zog sie ihr rechtes Bein an und streckte das linke von sich. Es fühlte sich ein wenig verspannter an als das rechte. Sie zog die Zehen zu sich heran und griff nach der Spitze ihres Turnschuhs. Wenn sie sich nach vorn beugte, fühlte sich ihr Magen noch schlimmer an. Auf der Rasenfläche im Innern des Sportplatzes sprinteten die Weitspringer unermüdlich die Anlaufbahn hinunter. Die Sandgrube vor ihnen war noch glatt und unberührt. Cara hörte, wie Sammy Nelson, einer der Kugelstoßer, laut seufzte, als er die schwere Eisenkugel mit einem dumpfen Aufprall auf den Rasen warf.
Rings um sie herum standen und saßen die anderen Läufer in ihren blau-weißen Trainingsanzügen. Doch Ethan war nirgends zu sehen. Er musste noch in der Umkleidekabine sein. Coach Sanders kam vorbei und blätterte hastig einige Zettel auf seinem Klemmbrett durch. Cara sah, wie seine blaue Nylonhose neben ihr stehen blieb. »Lange, der Vierhunderter ist zuerst dran.« Seine körperlose Stimme rieselte von oben auf sie herab.
Cara zwang sich zu einem Nicken und beobachtete, wie seine Füße davontrotteten. Sie neigte den Oberkörper in Richtung Bein und spürte, wie sich ihr Wadenmuskel verkrampfte. Bitte lass mich jetzt keinen Erstickungsanfall bekommen. Nicht an Homecoming. Ihre letzten beiden Rennen waren … nicht allzu gut gelaufen. Eine ölige Schweißschicht breitete sich über ihre Stirn, als sie an den Wettkampf gegen Racine dachte. Ihre Füße hatten regelrecht am Startblock geklebt. Dann der donnernde Startschuss. Die Rücken ihrer Teamkollegen, die sich rasch entfernten.
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