Caras Schatten
eine pro Bahn – drei von ihrem eigenen Team und vier von Franklin. Die Nummer sechs stand ganz außen. Cara hockte sich hin und drückte ihre Füße fest gegen den Gummibelag des Startblocks. Sie fühlte die raue Oberfläche der Aschebahn unter ihren Fingern. Der Starter hob seine Pistole. Einen schrecklichen Augenblick lang spürte Cara, wie sich ihr Magen erneut zusammenkrampfte. Oh Gott , nein, nur nicht jetzt . Ihre Beine fühlten sich furchtbar schwer an. Dann blitzte vor ihrem inneren Auge Zoes Gesicht auf. Der Startschuss fiel. Los! , formten Zoes Lippen.
Caras Beine schnellten aus dem Startblock. Ehe sie darüber nachdenken konnte, sprintete sie die Bahn hinunter. Sie spürte, wie ihre Beine im Rhythmus ihres rasenden Herzens gegen den Boden trommelten. Die erste Kurve. Sie lehnte sich nach innen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Zwei Läuferinnen rannten direkt an ihrer Seite. Cara konnte nichts von ihnen erkennen außer einem Aufblitzen von Rot und Blau. Sechs, wo war die Nummer sechs? Sie konnte sie nirgends entdecken.
Die Gerade. Cara nahm vage das Jubeln der Menge wahr. Die nächste Kurve kam bereits näher. Ihre Beine wurden ein wenig langsamer, aber sie zwang sich mit aller Macht zurück in ihr vorheriges Tempo. Sie hatte nur noch eine einzige Läuferin vor sich. Wo waren die anderen? Waren sie bereits im Ziel? Die letzte Gerade. Ihr Atem drang pfeifend durch die Lippen. In einem letzten Kraftakt zwang sie ihre Beine über die Ziellinie. »Los, Cara!«, rief irgendjemand, gefolgt von wildem Jubel.
Ihre Füße trommelten immer langsamer gegen die Bahn. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass nur eine einzige Läuferin vor ihr die Ziellinie überquert hatte, eine schlanke Blondine in Rot – die Nummer zehn. Demnach lag die rote Giraffe hinter ihr. Genauso wie die anderen Läuferinnen, einschließlich ihrer drei Teamkolleginnen. Das hieß … sie war als Zweite ins Ziel gekommen, und als Erste ihres eigenen Teams. Cara spürte, wie eine Glücksblase in ihr hochstieg, die sie wie ein riesiger Heliumballon schweben ließ.
Sie blieb stehen und stützte die Hände auf die Knie. Ihre Lungen wehrten sich gegen den abrupten Halt und versuchten ihren Brustkorb zu sprengen. Cara richtete sich auf und legte die Hände hinter den Kopf, um ihren Lungen möglichst viel Raum zu bieten. Sie ging einen Moment im Kreis herum, ehe sie sich umblickte. Irgendjemand klopfte ihr auf den Rücken. Cara stolperte und kippte beinah vornüber.
»Super Leistung, Cara!«, rief Julie.
»Gut gemacht«, schloss Sarit sich an. Sie hob die Hand, und Cara schlug zögerlich ein. Mehrere Leute klopften ihr auf die Schultern, als sie an ihnen vorüberging. Cara nickte und bemühte sich, möglichst lässig zu wirken – so als wäre es keine große Sache, beim Homecoming-Rennen um ein Haar zu gewinnen. In Wirklichkeit aber hatte sie ein dickes, fettes Grinsen auf dem Gesicht. Sie konnte es nicht ändern. Und es war ihr auch egal.
Der verlassene Aufwärmbereich war übersät mit abgelegten blauen Nylonklamotten und offenen Sporttaschen. Ethan saß auf einer Kühlbox und kritzelte wie wild in sein Matheheft. Als Cara sich näherte, blickte er auf. »Toll gelaufen«, sagte er und hielt die Hand hoch. Caras Herz machte einen gigantischen Satz. Sie befahl ihrem Auge, jetzt bloß nicht zu zucken.
»Danke, Ethan«, sagte sie so beiläufig wie möglich, während sie unbeholfen abklatschte. Doch sie verfehlte seine Hand, verfehlte sie, und schlug stattdessen in die Luft. Sie verlor fast das Gleichgewicht und konnte sich gerade noch fangen, bevor sie gegen Ethans Knie stolperte. Sie spürte, wie sich ihr Gesicht in eine Landkarte aus roten Flecken verwandelte. Sie widerstand dem Drang, auf der Stelle zu flüchten, und stieß stattdessen ein albernes Kichern aus. »Ähm, können wir das vielleicht noch mal machen?«
Ethans Augenwinkel kräuselten sich. Er hielt erneut die Hand hoch, und Cara klatschte ab. »Schon besser«, erwiderte er lächelnd.
Ja, viel besser .
Kapitel 8
D ie kühle Nachtluft umfing Cara, als sie nach dem Rennen nach Hause schwebte. Ein Polizeiauto jagte mit heulenden Sirenen und rot flackernden Lichtern an ihr vorbei, aber sie nahm es kaum wahr. Nicht, solange sie Ethans wundervolles Lächeln vor ihrem inneren Auge sah.
Alle Fenster ihres Hauses lagen im Dunkeln, aber die Autos ihrer Eltern standen in der Garage.
Drinnen entdeckte sie einen Lichtspalt unter der Tür zum Arbeitszimmer ihrer Mutter. Cara
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