Caras Schatten
Gesicht. »Ja, stimmt irgendwie.« Sie erkannte eine vage Ähnlichkeit zwischen den großen hellen Augen und markanten Wangenknochen der Schauspielerin und ihren eigenen.
Zoe sprang auf. »Aber deine Klamotten …!« Sie riss die Türen des Kleiderschranks auf.
Caras Blick fiel auf ihren verblichenen Bademantel. »Was ist mit meinen Klamotten?«
»Cara.« Zoes Stimme klang extrem geduldig, so als würde sie sich an jemanden mit begrenzten geistigen Fähigkeiten wenden. »Du kannst doch nicht mit einem coolen neuen Haarschnitt herumlaufen und dazu ein Mickymaus-Sweatshirt tragen.«
»Ich mag mein Sweatshirt«, murmelte Cara.
»Ich weiß«, sagte Zoe beschwichtigend. »Es ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Aber, Car, wir müssen dringend etwas an deiner Garderobe ändern. Komm schon, hast du nicht irgendwas Brauchbares hier drin?« Sie grub sich durch eine drei Jahre alte Sammlung von Leichtathletik-T-Shirts, einen flusigen schwarzen Rolli und vier Sweatshirts in verschiedenen Grautönen. »Du legst offensichtlich Wert auf Abwechslung.« Zoe musterte die Sweatshirts argwöhnisch, dann zog sie ein eng anliegendes grünes Oberteil aus den Tiefen des Schranks hervor. Am Ärmel baumelte noch das Preisschild. »Aha! Was haben wir denn hier?«
Cara wich entsetzt zurück. »Oh Gott, gar nichts. Das hat Mom mal im Ausverkauf ergattert. Sie geht manchmal auf wilde Shoppingjagd und versucht mich völlig neu einzukleiden. Ich hab das Teil noch nie getragen.«
Zoe warf es ihr in die Arme. »Wirst du aber jetzt. Und dazu die hier.« Sie hielt Caras beste schwarze Ballerinas in die Höhe.
Cara zögerte, dann zog sie sich ihr Sweatshirt über den Kopf und verstrubbelte dabei die neue Frisur. »Ich werde mir total komisch vorkommen, wenn ich das hier in der Schule trage.« Zoe warf ihr eine eng anliegende Jeans in die Arme, und Cara zog sie an. »Und? Was sagst du?« Das Shirt schmiegte sich eng an ihren Körper an und zeichnete ihre Brust und ihren Bauch nach. Der geraffte Ausschnitt entblößte ihr Schlüsselbein, das Caras Ansicht nach viel zu weit vorstand – wie eine Art Kleiderbügel.
Zoe musterte Cara von oben bis unten, als wäre sie ein Viehhändler, der auf einer Auktion einen Mastbullen begutachtet. Cara verschränkte die Arme vor der Brust; mit einem Mal fühlte sie sich verlegen. »Vielleicht, wenn du dich gerade hinstellst und das Kinn anhebst.« Zoe stand auf und warf sich vor dem Spiegel in Pose – Schultern zurückgezogen, die Hände lässig in die Hüften gestützt. Sie wandte den Kopf herum und sah Cara kühl an. »Na los, versuch’s mal.«
Cara erhob sich widerwillig von ihrem Hocker. Sie stellte sich neben Zoe, ihre Arme hingen schlaff herab. »Ich komm mir irgendwie albern vor«, jammerte sie.
Zoe packte ihre Arme, als wären es Spaghetti, und schüttelte sie. »Na, komm schon! Das wird dir in Ethans Gegenwart garantiert helfen. Los jetzt.« Sie posierte erneut, und Cara machte es ihr nach, indem sie ebenfalls die Hände in die Hüften stemmte.
»Schultern zurück«, befahl Zoe. »Jetzt ein bisschen die Hüfte rausstrecken. InStyle behauptet, man kann dadurch bis zu drei Kilo leichter wirken.«
Cara brachte ihren Körper in die entsprechende Haltung. Sie betrachtete sich im Spiegel. Zoe stand direkt neben ihr. Zum ersten Mal wurde Cara bewusst, dass sie beide die gleiche Größe und die gleiche Figur hatten. Mit ihren dunklen Haaren und hellen Augen sahen sie aus wie Zwillinge.
»Okay, jetzt sprich mir nach«, sagte Zoe. »›Hi, Ethan.‹« Ihre Stimme klang cool und lässig.
»Hi, Ethan«, wiederholte Cara gehorsam.
»Nein, nein. So, als wär’s dir total egal«, erklärte Zoe. »Und denk dabei an die Schultern. So.« Sie machte es ihr vor.
Cara streckte ihren Rücken durch. »Hi, Ethan.« Sie versuchte, ein wenig kess zu lächeln.
»Schon besser! Okay, jetzt versuch’s mal hiermit: ›Toller Wettkampf gestern.‹«
Cara wiederholte den Satz. Sie hob die Augenbrauen und sah Zoe hoffnungsvoll im Spiegel an.
Zoe runzelte die Stirn. »Schon ziemlich nah dran. Aber irgendetwas stimmt noch nicht. Sag’s mit mir zusammen: ›Hi, Ethan. Toller Wettkampf gestern.‹«
Cara wiederholte die Worte zusammen mit Zoe.
»Noch mal!«, befahl Zoe.
Wieder und wieder sagten sie denselben Satz und beobachteten sich dabei gegenseitig im Spiegel. Caras Stimme verschmolz immer mehr mit Zoes, bis sie irgendwann nicht mehr wusste, wer von ihnen beiden gerade sprach.
Kapitel 9
D er Fitnessraum war
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