Caras Schatten
hinauf.
»Zimmerservice.« Sie stieß die Zimmertür auf.
»Arghhh.« Zoe schob einen Arm unter der Decke hervor und schlug ihn sich vors Gesicht. »Wie spät ist es? Warum ist es hier drin so hell?« Sie versuchte sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Cara schnappte sich einen Zipfel und riss sie ihr weg. Zoe kreischte und kringelte sich wie eine Garnele in T-Shirt und Jogginghose. »Du bist echt fies! So was nennt man Folter.« Sie versuchte, die Decke zurückzuerobern, aber Cara hielt sie außer Reichweite und streckte ihr stattdessen einen Toast hin.
»Aufstehen!«, befahl sie. »Mom hat der Putzfrau aufgetragen, heute hier sauber zu machen.« Cara schnappte sich einen Armvoll dreckiger Sportsocken und muffig riechender Jeans und stopfte alles in den Wäschekorb. »Also müssen wir hier raus. Wir machen einfach eine kleine Wanderung – ich kenne einen tollen Pfad, den kein Mensch benutzt –, und anschließend gibt’s Picknick in der Scheune.« Cara stopfte sich ein Stück Toast in den Mund. Sie fühlte sich wie ausgehungert.
»Gott, du bist ja wahnsinnig.« Zoe vergrub ihren Kopf in den Händen. »Warum fühle ich mich eigentlich so, als hätte ich einen Kater, obwohl ich überhaupt nichts getrunken habe?«
Cara warf ihr ein Sweatshirt und eine Jeans in den Schoß. Sie landeten auf Zoes Toast. »Iiiih!« Angewidert hielt Zoe die Jeans mitsamt der Toastscheibe hoch, die ihr am Hintern klebte. Beide brachen in lautes Gelächter aus.
Das größte Risiko an der ganzen Aktion bestand darin, Zoe die Treppe hinunterzuschleusen, während Mom unter der Dusche stand. Zoe kicherte ununterbrochen, während Cara sie hektisch vor sich herscheuchte. Draußen angekommen, war der Rest ein Kinderspiel. Sie mussten nur rasch hinter den Häusern herrennen – der Bürgersteig war logischerweise viel zu gefährlich –, dann erreichten sie eine ehemalige Grundschule, die inzwischen mit Brettern vernagelt war, und waren in Sicherheit.
»Der Weg beginnt gleich hier hinter dem Wasserturm und endet in der Nähe der Scheune. Kein Mensch geht da lang.« Cara hievte ihren Rucksack ein wenig höher auf die Schultern. Sie hätte nie gedacht, dass ein Stück Käse, eine Schachtel Cracker und eine halbe Peperoni so viel wiegen könnten, doch ihre Tasche schien mit jeder Sekunde schwerer zu werden. Als sie am Waldrand entlanggingen, spähte Cara zwischen die Bäume. Hinter den dunklen Baumstämmen wand sich ein schmaler Pfad. »Hier ist es.«
Die Mädchen schlugen sich durch das dichte Brombeergestrüpp, um in den Wald einzudringen. Im Sommer, wenn die Zikaden in den Bäumen zirpten, trugen die Sträucher riesige dunkelviolette Beeren, die Luft war golden vor Pollen und die Sonne stand wie eine flache, blendend weiße Scheibe am Himmel. Doch inzwischen ließen die Büsche traurig ihre Blätter hängen, und ihre Zweige waren zu einem dürren braunen Wirrwarr verstrickt. Die Erde unter Caras Füßen war matschig und roch nach Torf und fauligem Laub. Vor ihnen wand sich der Pfad allmählich den Hügel hinauf und schlängelte sich an umgestürzten Bäumen vorbei. Cara suchte sich einen Weg durch den kleinen Bach, der am Fuß des Hügels entlangplätscherte, und beobachtete, wie das Wasser gegen ihre Schuhsohlen sprudelte.
Zoe folgte ihr schweigend. Irgendwie trug die Stille dazu bei, endlich die Frage aussprechen zu können, die Cara seit Tagen beschäftigte.
»Sag mal … Gibt es eigentlich irgendwelche Neuigkeiten von zu Hause?« Cara versuchte, die Frage möglichst beiläufig klingen zu lassen.
»Was meinst du?«, antwortete Zoe nach einer Sekunde. Sie klang ein wenig atemlos.
Cara stapfte um eine große Pfütze herum. »Nichts weiter. Ich meine nur, deine Mutter muss doch vor Angst ausflippen. Du bist jetzt seit über einer Woche weg.«
Zoe schnaubte verächtlich. »Unwahrscheinlich. Ich meine, sie flippt höchstwahrscheinlich aus, aber bestimmt nicht, weil ich weg bin.«
»Was soll das heißen? Weshalb sollte sie sonst ausflippen?« Cara drehte sich um und sah ihre Freundin an. Zoes Gesicht war kühl, ihr Blick leer.
»Ich habe etwas Schlimmes getan, Cara. Aber nichts Schlimmeres, als was er mir angetan hat. Okay? Ich kann nicht dahin zurück. Und ich will nicht drüber reden.« Ohne Caras Antwort abzuwarten, drängte sie sich an ihr vorbei und ging weiter.
Caras Magen zuckte nervös. »Zoe, wovon redest du da? Was hast du getan?«
Zoe blieb stehen, aber sie drehte sich nicht um. »Ich hab doch gesagt, ich will nicht
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