Caras Schatten
drüber reden.« Ihr Rücken war kerzengerade.
»Okay, okay«, erwiderte Cara beschwichtigend. Zoe ging weiter. Cara versuchte ihre Gedanken wieder auf das akutere Problem zu konzentrieren. Sie konnte ihre Eltern nicht ewig aus ihrem Zimmer fernhalten. Es war ja nicht so, als wollte sie Zoe loswerden – ganz im Gegenteil –, aber sie musste sich irgendetwas einfallen lassen.
Sie holte tief Luft. »Zo. Was auch passiert ist, wir müssen uns dringend etwas überlegen …«
»Wie war’s denn eigentlich gestern Abend?«, fiel ihr Zoe ins Wort.
»Genial. Aber hör zu, ich hab über diese ganze Situation nachgedacht …«
»Wo hast du überhaupt gesteckt? Ich hab auf dich gewartet.«
Cara gab auf. Der Pfad war matschiger als erwartet, und sie musste sich konzentrieren, um nicht auszurutschen. Sie entschied sich, lieber abzuwarten, bis Zoe in einer versöhnlicheren Stimmung war.
»Ja, ich war noch bei Sarit.« Sie untersuchte Zoes Rücken auf irgendwelche Anzeichen von Verärgerung. »Ich hab mich echt gut mit Ethan unterhalten. Aber Alexis war wieder mal eine totale Zicke.« Sie beschrieb flüchtig die Szene im Wohnzimmer.
Zoes Rücken war kerzengerade. Cara fragte sich, wie Zoe es nur schaffte, in einem dreckigen Sweatshirt und zu weiten Jeans wie ein Model auszusehen. »Weißt du, was dein Problem ist, Cara? Du lässt dich viel zu leicht herumschubsen. Du hättest die Schlampe erledigen sollen.« Sie stapfte durch eine riesige Pfütze.
»Zoe, du kriegst klatschnasse Füße!«, warnte Cara. Sie hievte ihren Rucksack ein wenig höher. »Und wann habe ich je irgendetwas erledigt bekommen?«
Zoe ging unbeirrt weiter, obwohl ihre Jeans bis zu den Knien durchnässt war. »Vermutlich bist du deshalb so eine Versagerin auf der Highschool.«
Ihre Worte durchbohrten Cara wie eine Klinge. Sie blieb stehen. »Warte mal – du hältst mich für eine Versagerin?« Allein das Wort auszusprechen, tat weh. Sie hatte das Gefühl, Alexis’ Spuckeregen erneut auf ihrer Stirn zu spüren.
Zoe drehte sich um. Sie seufzte übertrieben, als würde sie mit einem anstrengenden Kleinkind reden. »Car. Ich habe nicht behauptet, dass ich dich für eine Versagerin halte. Ich wiederhole nur, was deiner eigenen Aussage nach die anderen von dir denken.«
»Oh.«
Zoe ging weiter, und Cara folgte ihr. Sie spürte, wie sich an den Innenseiten ihrer großen Zehen Blasen bildeten.
Vor den Mädchen lag ein kurzer, steiler Anstieg. Während Cara hinaufstapfte, spürte sie, wie sich ihre Waden verspannten. Das Lauftraining hatte offenbar wahnsinnig viel gebracht, wenn sie schon bei einem lächerlichen Drei-Kilometer-Spaziergang an ihre Grenzen stieß. Der Wald schien sich um sie beide zu drängen, seine feuchten Äste griffen nach ihren Schultern. Caras Stiefel versanken in dem dichten Laub, das den Waldboden vollständig bedeckte. Nach ein paar Schritten bemerkte Cara, dass sie Zoe nicht mehr hinter sich hörte. Sie drehte sich um. Ihre Freundin war auf halber Höhe stehen geblieben und starrte einen Gegenstand in ihren Händen an. »Was ist?«, rief Cara. Zoe gab ihr keine Antwort.
Cara trottete den Hügel wieder hinunter, streng darauf bedacht, nicht im Matsch auszurutschen. »Was ist?«
»Sie hat sich einfach nur im Laub hin und her gewälzt und gequiekt«, sagte Zoe traurig. Sie betrachtete die kleine graue Feldmaus in ihren Händen. Sie rührte sich nicht. »Sie hat gelitten.«
Cara brauchte einen Moment, um die Situation zu durchschauen. »Warte mal, du hast die Maus da im Laub gesehen und sie aufgehoben?«
Zoe nickte. »Ich musste sie von ihren Qualen erlösen.« Sie blickte traurig auf.
Sekundenlang begriff Cara nicht, was Zoe damit meinte. »Gott, Zoe, hast du sie etwa umgebracht?« Die Maus lag reglos da. Ihr Kopf war unnatürlich verdreht, ihre Schnurrhaare und ihre winzigen rosa Füßchen ruhten auf Zoes Handfläche.
»Oh Gott!«, rief Cara angewidert und schlug Zoe die Maus aus der Hand. Sie fiel mit einem dumpfen Geräusch ins Laub. »Das ist ja ekelhaft.« Sie starrte ihre Freundin an. Zoe erwiderte den Blick, ihre violetten Augen ruhig und gelassen wie immer.
Sie zuckte mit den Schultern und ging an Cara vorbei. »Also, glaubst du, Ethan will eine große Hochzeit oder heiratet ihr eher im kleinen Kreis?«, rief sie ihr über die Schulter hinweg zu. Cara blieb einen Moment lang stehen und betrachtete den kleinen grauen Leichnam zu ihren Füßen. Aus einem Impuls heraus beugte sie sich nach unten und breitete ein
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