Caras Schatten
Wange.
Sie fühlte sich plötzlich von Übelkeit überwältigt und wich zurück. Hastig kehrte sie Zoe den Rücken zu und ging zu einem der glaslosen Fenster. Sie beugte sich hinaus und atmete die kühle, klare Luft ein, die nach feuchter Erde und Laub roch.
Als sie nicht mehr das Gefühl hatte, sich jeden Moment übergeben zu müssen, wandte sie sich erneut Zoe zu. Sie hockte am Boden und fummelte an einem ihrer Zehennägel herum.
»Zoe, was hast du eigentlich vor? Hast du irgendeinen Plan? Wie lange willst du noch bleiben?« Die Worte klangen schärfer als beabsichtigt. Cara beobachtete mit Bestürzung, wie sich Zoes Gesicht verzog. Ihre Augen wurden feucht.
»Was hast du denn jetzt vor, Cara?«, schniefte sie. Schmutzige Tränen rannen ihr übers Gesicht und tropften auf ihr Hemd. »Ich dachte, wir beide wären beste Freundinnen, und jetzt schmeißt du mich einfach so raus?«
»Nein, warte. Das wollte ich damit nicht sagen. Ich wollte nur … ach, ich weiß auch nicht.« Sie ging ans andere Ende der Scheune.
»Wir sind doch beste Freundinnen, oder, Cara?« Zoes Stimme war tränenerstickt. Cara drehte sich zu ihr um. Zoe hockte immer noch am Boden, ihre Arme um die Knie geschlungen. Aus einem ihrer Nasenlöcher quoll eine grüne Rotzblase. Cara verzog das Gesicht.
»Hör zu, Zoe, ich sag das doch nur, weil du … offensichtlich nicht glücklich bist«, startete Cara einen weiteren Versuch. »Diese ganze Situation scheint dich ziemlich zu belasten. Wenn wir mal ernsthaft darüber nachdenken, können wir vielleicht einen besseren Aufenthaltsort für dich finden.«
Zoe wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab. »Ich kann nirgendwo anders hin.« Sie klang mit einem Mal erschöpft. »Aber wenn du willst, dass ich verschwinde, dann geh ich. Und das willst du bestimmt, jetzt, wo du genug andere Freundinnen hast und sogar einen Freund. Stimmt – du musst mich echt satthaben.« Sie stand auf. Ihr Hemd verrutschte leicht und entblößte ihren dürren Oberkörper. Eine auffällige Narbe, an die sich Cara nicht erinnern konnte, verlief längs ihres Brustbeins nach unten. Cara schauderte innerlich und wandte sich ab.
»Ich muss nur meine Sachen aus deinem Zimmer holen. Dann wirst du mich nie wiedersehen.« Sie ging auf das Tor zu.
»Zoe, warte.« Die Worte drangen aus Caras Mund, als hätte sie ein anderer gesprochen. »Geh nicht.«
Zoe blieb stehen, doch sie drehte sich nicht um. Cara legte ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter. Zoes Haut war kalt und klamm, wie die eines Frosches.
»Tut mir leid«, sagte Cara sanft. »Tut mir leid, Zo.« Sie seufzte. »Es ist nur … ich hatte einen langen Tag, okay? Diese ganze Sache mit Alexis macht mich echt fertig.«
Zoe drehte sich um. Ihre Tränen waren verschwunden. »Hast du Ethan bei der Suche getroffen?«, fragte sie strahlend.
Cara blinzelte verwirrt angesichts ihres plötzlichen Sinneswandels. »Ähm, ja, hab ich«, erwiderte sie zögerlich. »Er hatte eine ziemlich harte Nacht. Die Polizei …«
»Hmm, hmm.« Zoe nickte eifrig. »Schon klar, die Sache mit Alexis macht dich fertig, wie? Oder vielleicht doch eher die Sache mit Ethan? Weißt du, du kannst echt froh sein. Jetzt, wo Alexis weg ist, hast du doch alles, was du wolltest. Oder hätte ich lieber nicht …« Sie unterbrach sich.
Cara starrte sie an. Zoes Augen waren inzwischen trocken, ihr Lächeln reichte über das ganze Gesicht. Sie blickte sich in der Scheune um. »Ich frag mich, wo Samson wohl steckt. Süßer!« Ihre Stimme hallte im Dachgebälk nach. Sie warf Cara einen Blick zu. »Ich kann nicht ohne ihn hier weg. Hilfst du mir, ihn zu suchen, Cara? Dann können wir zurück in dein Zimmer gehen. Und du musst mir haarklein erzählen, worüber du mit Ethan geredet hast.«
Cara nickte. Das war es, was Zoe wollte. Und genau das würde sie tun.
Kapitel 20
I ch hab gehört, sie soll mit mehreren Typen geschlafen haben, um an Drogen heranzukommen, und einer von denen hat sie entführt.«
»Echt? Tara hat behauptet, sie hätte einen heimlichen Freund in San Francisco. Angeblich soll sie das Auto ihrer Eltern geklaut haben, um mit ihm durchzubrennen.«
Cara schloss langsam die Tür ihres Spinds, während sie den neuesten Gerüchten über Alexis’ Verschwinden lauschte. Seit der großen Suchaktion am Dienstag ging das nun schon die ganze Zeit so. Inzwischen war Donnerstag, und niemand redete über etwas anderes als über Alexis, Alexis, Alexis. Die ganze Schule war mit grünen Bändern
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