Caravan
greift nach ihrer Tasche und verschwindet so leise, wie sie gekommen ist.
Ein Kiesweg führte zwischen den Rosenbeeten zu einem tiefer gelegenen Garten, versteckt in einem Kreis von Lorbeerbüschen,
mit zwei Bänken und einer alten Sonnenuhr in der Mitte.
»Du und Andrij, ihr könnt euch dort unten hinsetzen«, sagte Yaketa. »Um sieben bin ich fertig. Dann zeige ich euch das Zimmer.«
Es war noch warm, doch am Himmel hingen bereits schwere Regenwolken, und außer uns war niemand im Garten. Man spürte, dass
ein Sturm im Anzug war, und die Lorbeerblätter rollten sich in der Hitze ein. Hund tauchte aus dem Nirgendwo auf, trottete
hinter uns her und furzte dabei grässlich. Was hatte er bloß gefressen? Warum konnte er uns nicht in Ruhe lassen?
Andrij setzte sich auf eine der Bänke, und ich setzte mich zu ihm. Anscheinend hatte er mal wieder schlechte Laune. Ich fragte
mich, ob ich ihn irgendwie geärgert hatte. Schlechte Laune ist nicht sehr attraktiv bei einem Mann.
»Es gibt ein Problem, über das ich mit dir reden muss«, sagte er. »Ein Liebesproblem. Die Beziehung zwischen Mann und Frau.«
Endlich, dachte ich, und mein Herz begann schneller zu schlagen.
Doch dann sagte er: »Mr. Majevski, dieser alte Schürzenjäger, hat drei alten Damen einen Heiratsantrag gemacht, und alle drei haben ja gesagt.« Er
kniff die Augen zusammen |313| und warf mir einen bösen Blick zu. »Und jetzt habe ich gehört, dass es noch eine Vierte gibt. Und dass auch du, Irina, seinem
Charme erlegen bist. Stimmt das?«
Was hatte ihm die freche Yaketa da bloß erzählt? Ich zuckte die Schultern.
»Irina, du kannst nicht durch die Welt spazieren und jeden Mann anlächeln, der dir über den Weg läuft.«
Jetzt reichte es mir aber. Wie kam er dazu, mir Vorschriften zu machen?
»Ich kann lächeln, so viel ich will.«
Da sagte er mit einer ganz primitiven Stimme: »Wenn du das tust, machst du am Ende Ganzkörpermassage für einen von Vitalis
Mobilfonkunden für zwanzig Pfund.«
Ich war entsetzt. Wie konnte er nur so etwas Hässliches zu mir sagen? Erst dachte ich, es sollte ein Witz sein, aber anscheinend
meinte er es ernst.
»Vitali ist tot«, sagte ich.
»Nein. Die Welt ist voller Vitalis. Du siehst sie nur nicht, Irina.«
»Wovon redest du, Andrij?«
»Von den Männern, die du anlächelst, Irina – manche davon sind einfach keine anständigen Menschen.«
Ach so, er war immer noch sauer wegen des Zwanzigpfundscheins.
»Mr. Majevski ist anständig.«
»Er ist ein Schürzenjäger.« Er runzelte die Stirn. »Wirst du ihn heiraten?«
»Das ist meine Sache. Ich kann selbst entscheiden, wie ich mein Leben lebe. Ich brauche keinen, der mir Vorschriften macht.«
»Irina, du bist blind. Du siehst einfach nicht, was auf der Welt los ist.«
»Was zum Beispiel? Was sehe ich nicht?«
|314| »Die Mobilfonwelt um dich herum. Geschäftsmänner, die Menschenseelen kaufen und verkaufen. Auch deine, Irina. Auch dich kaufen
und verkaufen sie.«
»Niemand kauft und verkauft mich. Es war meine Entscheidung, in den Westen zu gehen.«
Wenn er so weitermachte, dachte ich, würde
es
heute Nacht jedenfalls nicht passieren.
»Im Westen ist es auch nicht anders. Diese orange Revolution, von der du so begeistert bist, das ist doch nichts anderes als
eine riesige Werbekampagne nach Vitali-Art. Was glaubst du, wer für die ganzen orangen Fahnen und Banner bezahlt hat, und
für die Zelte und die Musik auf dem Platz?«
Was um Himmels willen war in ihn gefahren? Ich hatte gedacht, wir würden durch den Garten spazieren und romantische Gespräche
führen, das wäre schön gewesen, aber stattdessen fängt er von Politik an. Vielleicht war es bei meinem Vater und Switlana
Surocha auch so? Nein, bei denen war es wahrscheinlich genau umgekehrt – zuerst die Politik und dann die Romantik. Wenn er
diskutieren wollte, das konnte ich auch.
»Wo wir schon darüber reden, Andrij, lass uns wenigstens ehrlich sein. Meine Mutter und meinen Vater hat niemand dafür bezahlt,
dass sie auf den Platz gegangen sind. Sie sind hingegangen, weil sie wollen, dass sich die Ukraine endlich von Russland befreit.
Dass wir unsere eigene Demokratie haben – keine, die vom Kreml gesteuert wird.«
»Der einzige Unterschied ist, dass sie statt vom Kreml von den USA gesteuert wird.«
»Das ist doch russische Propaganda, Andrij. Warum hast du solche Angst vor der Wahrheit? Selbst wenn die Regierung sich nicht
ändert, das Wichtigste
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