Caravan
Exkrementen der neu eingefangenen Vögel über ihnen, die noch am Flattern und Kämpfen sind. Nach ein paar Stunden haben
sie so viele Hühner gefangen, dass hier und da der Boden der Halle zu sehen ist. Es ist eine stinkende Wüste aus Sägemehl,
Urin und Fäkalien, in der verletzte und vom Ammoniak blinde Vögel umherwaten.
Direkt zu seinen Füßen sieht er ein Huhn mit einem gebrochenen Bein, das sich durch den Dreck schleppt und von seiner riesigen
Brust zu Boden gezogen herzzerreißend krakeelt. Mit quälender Zerknirschung überlegt er, dass wahrscheinlich er dem Tier das
Bein gebrochen hat, als er daraufgetreten war. Er bückt sich, packt den Vogel an beiden Beinen und zieht ihn in die Luft,
doch im Schwung spürt er, wie auch das zweite Bein bricht. Das Huhn hängt schlaff an zwei gebrochenen Beinen herunter und
starrt Tomasz voll Todesangst an.
»Es tut mir leid, kleines Huhn«, flüstert Tomasz auf Polnisch. Soll er es einfach in die Kiste werfen? Er fängt Neils Blick
auf.
»Ja, mach ruhig. Keine Sorge, Mick. Das passiert ständig.« Mit vier Hühnern in der Hand winkt er Tomasz zu. »Brüchige Knochen.
Keine Kraft, weißt du? Können sich nicht bewegen, und deshalb haben sie auch keine Kraft in den Haxen. Die sollten vielleicht
Fußball spielen, was? Hühnerfußball. Gibt’s natürlich, aber dann ist meistens das Huhn der Ball. Wer will schon ein Huhn sein,
oder?«
Tomasz nimmt das verletzte Huhn und legt es in einen Käfig, wo es unter der Horde Hühner, die es sofort niedertrampeln, zusammenbricht.
Ihm wird schlecht.
»Zeit für ’ne Pause, Kumpel«, sagt Neil.
Draußen in der Sonne atmen sie tief durch und waschen |159| sich unter einem Wasserhahn an der Hallenwand. Dann lassen sie sich in einer Reihe an der Mauer auf den Boden fallen. Neil
nimmt seine halbe Zigarette heraus und zieht ein paar Mal hustend daran, mit entschlossener Miene.
»Das wird schon«, sagt er.
Die Portugiesen, oder Brasilianer, stecken sich ebenfalls Zigaretten an. Sie haben den Reißverschluss ihrer Overalls runtergezogen,
und Tomasz sieht, dass sie nichts als die Unterhose drunter anhaben, einer offenbar nicht mal das. Sehr vernünftig, denkt
er. Dann denkt er an den zwickenden Schritt seines Overalls. Wer hat ihn vor ihm angehabt? Er sieht den jungen Mann an, der
neben ihm sitzt. Er ist ein bisschen kleiner als Neil und wahrscheinlich genauso jung, mit lockigem Haar und schönen Zähnen.
»Portugiese?«
»Ja«, sagt der junge Mann.
»Brasilianer?«
»Ja.«
Tomasz zeigt auf sich.
»Pole. Polen.«
»Ah«, der junge Mann strahlt. »Gregor Lato.«
»Pele«, sagt Tomasz. Sie schütteln einander die Hand.
»Du stehst auf Fußball?«
»Natürlich«, sagt Tomasz der Freundschaft zuliebe, auch wenn es eigentlich nicht stimmt, denn er findet alle Sportarten todlangweilig,
und wenn, würde er sich am ehesten noch Juvenia Krakau beim Rugby ansehen. Das ist eine der kleinen Eigenheiten, die er kultiviert,
genau wie seine Vorliebe für Wein statt Bier und ausländische Musik. »Nachher wir spielen.« Die Zähne des jungen Mannes blitzen,
als er lächelt.
»Nachher wir spielen Dudelsack.« Der Mann daneben hat ein leicht irres Glimmen in den Augen.
|160| »Schottisch?«, fragt Tomasz.
Er zwinkert Tomasz zu. »Schottisch.«
Als sie mit den Zigaretten fertig sind, kommt ein riesiger Lastwagen angezuckelt, und die vier Männer springen auf und gehen
rüber, um sich mit dem Fahrer zu unterhalten, der anscheinend auch Portugiese ist. Oder Brasilianer.
»Sind sie aus Portugal oder Brasilien?«, fragt Tomasz Neil.
»Ja, genau. Das eine oder das andere. Ein paar sind Portugiesen, die so tun, als wären sie Brasilianer. Die anderen sind Brasilianer,
die so tun, als wären sie Portugiesen.«
»Sie tun wie Brasilianer?«
»Ja, verrückt, oder? Also, Brasilianer sind illegal, und deshalb tun sie beim Einreisen so, als wären sie Portugiesen. Nur,
die Portugiesen sind legal, von wegen Europa und dem Markt und so, und da haben ein paar von ihnen Probleme gemacht, von wegen
ihre Rechte, und deshalb will sie jetzt keiner mehr haben. Das hat jedenfalls mein Dad gesagt.«
»Wegen Rechte?«
»Ja, Gewerkschaft. Mindestlohn. Gesundheit, Sicherheit. Und die Brasilianer machen keine Probleme, weil sie ja illegal sind.
Und deswegen, wenn die Portugiesen ’nen Job wollen, müssen sie so tun, als wären sie Brasilianer – also, Portugiesen, die
so tun wie Brasilianer, die so tun wie
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