Carina - sTdH 3
hatte nichts Besseres zu tun gehabt,
als vor ihm wegzulaufen.
Von da an
tanzte Carina ohne Unterlaß. Bald war es zwei Uhr morgens und Zeit für Guy, auf
sie im Green Park zu warten.
Um halb
zwei Uhr tauchte jedoch Lord Harry an ihrer Seite auf, gähnte und sagte, sie
müßten jetzt aber wirklich gehen. Lady Godolphin fahre nicht mit ihnen zurück,
weil sie »sich nicht zu Tode frieren wolle«, und habe nach ihrer eigenen
Kutsche geschickt.
Draußen war
es kalt und klar. Der Schnee glitzerte und glänzte im Schein der
Straßenlaternen, und hoch über den geduckten schwarzen Häusern von London stieg
ein kleiner Wintermond am Sternenhimmel empor.
»Es ist
eine schöne Nacht für einen Spaziergang, Bruno«, sagte Lord Harry zu seinem
Diener, der vor Kälte zitterte. »Ich schlage vor, du machst das Beste daraus.«
»Sehr wohl,
Mylord«, sagte Bruno, seinen Mißmut kaum verbergend. Er kletterte von der
Kutsche und machte sich davon.
Lord Harry
zog seine Reithandschuhe über und setzte sein Gespann in Bewegung.
»Kommen Sie
und setzen Sie sich neben mich, Carina«, sagte er. »Sie werden frieren, wenn
Sie den ganzen Weg da drüben sitzen.«
Carina
rückte näher. Er legte einen Arm um ihre Schultern und hielt die Zügel in einer
Hand. Die Pferde trabten gemächlich über die glitzernden Pflastersteine der
schneebedeckten Straßen.
Obwohl
Carina in Mäntel und Decken eingehüllt war, spürte sie seine Hüfte ganz
deutlich an ihrer.
Er zog sie
näher an sich; mit einem Seufzer ließ sie es zu und lehnte ihren Kopf an seine
Schulter.
Nachdem sie
eine Weile in diesem traumhaften Zustand dahingefahren waren, brachte er die
Pferde zum Stehen und schaute auf sie herab.
»Behalten
Sie den Ring, Carina«, sagte er sanft. »Sie brauchen ihn ja nicht am Ringfinger
zu tragen.«
Sie schaute
zu ihm auf, verwirrt von ihren Gefühlen für ihn, die sie sich noch nicht
erklären konnte.
»Und da wir
jetzt Freunde werden wollen«, fuhr er fort, »können Sie dem Geliebten
wenigstens einen Abschiedskuß geben.«
Ihre Lippen
zitterten, und sie berührte seine Wange schüchtern mit ihrer Hand.
Er nahm sie
in die seine und beugte sich dann zu ihr herab, um sie zu küssen.
Diesmal
fürchtete sie sich nicht vor ihm, weil sowieso alles zu Ende war. Er würde sie
nie wieder küssen, und so schadete es nichts, wenn sie seinen Kuß erwiderte ...
es schadete überhaupt nichts.
Und so gab
sie sich glücklich, obwohl ganz unschuldig, einem hitzigen,
schwindelerregenden, betäubenden Gefühl der Leidenschaft hin; sie verlor sich
an das Gefühl, seinen Mund in allen Einzelheiten zu spüren, an den schwachen
Geruch nach Zigarren, Wein und Eau de Cologne, der von ihm ausging, und an das
Streicheln seiner edlen Hände auf ihrem Gesicht.
Sie saßen
auf dem hohen Zweisitzer direkt vor dem Eingang zum Green Park. Es war zwei Uhr
morgens, und sie waren so miteinander beschäftigt, daß sie alles andere
vergaßen.
Carina
wußte nicht einmal, wo sie war.
Guy
Wentwater war beinahe festgefroren und starrte in immer heftiger werdendem Zorn
auf die beiden eng umschlungenen Liebenden, die da vom Laternenlicht so hell
beleuchtet wurden.
Die
Kutsche, die er für die Entführung gemietet hatte, wartete draußen auf der
Straße. Der Kutscher stellte sich immer wieder auf den Kutschbock und
versuchte, die Dunkelheit des Parks mit den Augen zu durchdringen; er fragte
sich, was um alles in der Welt dieser seltsame Mr. Wentwater wohl tat.
Schließlich
setzte sich die offene Kutsche in Bewegung.
Guy
Wentwater kam aus dem Park und nahm in der muffigen geschlossenen Kutsche
Platz; er kaute an seinen Nägeln, und der kalte Schweiß rann ihm aus allen
Poren.
Er haßte
die ganze Familie Armitage mehr als je zuvor, aber diesmal haßte er Carina
Armitage viel, viel mehr, als er den Vikar je gehaßt hatte. Er dachte, sie hätte
die ganze Sache absichtlich in die Wege geleitet, um ihn zu demütigen.
Und jetzt
würde Silas Dubois erfahren, daß er sie nicht entführt hatte, und er würde ihn
zugrunde richten.
Carina,
Squire Radford,
Betty und Lord Harry Desire machten sich am nächsten Tag auf den Weg nach
Hopeworth.
Sie wollten
am Abend ihre Reise bei einer Poststation unterbrechen.
Carina war
froh, London hinter sich zu lassen, bevor neugierige, klatschsüchtige Besucher
sie aufsuchen konnten. Squire Radford wußte nicht, was er davon halten sollte,
daß Carina und Desire sich seltsamerweise besser als je zuvor zu verstehen
schienen.
Der Schnee
war
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