Carina - sTdH 3
daß die beiden kleinen Mädchen noch in der Schule waren, beschloß er,
sich zu verabschieden.
Mrs.
Armitage und Daphne waren jede auf ihre Art völlig mit sich selbst beschäftigt,
Mrs. Armitage mit ihren eingebildeten Krankheiten, Daphne mit ihrer Schönheit,
aber so einfühlsam waren sie doch, daß sie dachten, für die arme Carina müsse
es entsetzlich peinlich sein, einem Mann ganz alleine Lebewohl zu sagen, dernicht zu
ihr paßte.
Lord Harry
verbeugte sich sehr förmlich, und sein Blick war ernster als je zuvor.
»Ich werde
eine Saison in London verbringen«, sagte Carina. »Ich sehe Sie doch dann
vielleicht?«
»Ich weiß
es nicht«, erwiderte er. »Squire Radford hat mich reiselustig gestimmt.
Vielleicht ist es schade, daß wir nicht heiraten. Wir hätten all diese
wundervollen Orte zusammen sehen können – Paris, Rom, Neapel, Venedig ...«
Er
verbeugte sich noch einmal und bestieg die Kutsche. Der Kutscher ließ die
Peitsche knallen, Lord Harry hob eine weißbehandschuhte Hand zum Gruß, die
Kutsche rumpelte die kurze Auffahrt hinab, hinaus auf die Straße.
Er war weg.
Carina
hörte die ängstlichen Fragen und Klagen ihrer Mutter über das Ende einer höchst
wünschenswerten Verlobung wie durch einen Schleier.
Lord
Harry ließ seine
Blicke ruhig über die Gegend schweifen. Er sah an einer Straßenbiegung
außerhalb von Hopeworth die einsame Gestalt eines Bauern, der aufmerksam über
die Felder spähte. Da Lord Harry sich fragte, ob der Vikar dem Fuchs den Fang
gegeben hatte, machte er seinem Kutscher ein Zeichen. Er ließ das Fenster herab
und lehnte sich hinaus.
»Du beobachtest
wohl die Jagd?« rief er.
Der
Bauersmann drehte sich ganz langsam um, und es dauerte seine Zeit, bis er
erkannte, wer da mit ihm gesprochen hatte.
»Nein,
Sir«, sagte er schließlich und drehte an seiner Stirnlocke. »Ich beobachte nur,
wie das Korn wächst, nur, wie das Korn wächst.«
Lord Harry
gab einen Wink, und die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung.
Ich frage
mich, sagte er zu sich, ob das Korn, das ich gesät habe, jemals reif wird. Es
kann ganz schön mühselig sein zu warten, bis etwas oder jemand reif ist.
Neuntes
Kapitel
Der
Vikar von St.
Charles and St. Jude war so erschöpft, daß er auf seinem Heimweg halb über dem
Sattelknopf hing. Die stille Abendluft hinter ihm war mit zahlreichen Flüchen
erfüllt.
»Ich
glaube«, rief er John Summer zu, »daß dieser Fuchs eine Erfindung des Teufels
ist. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Du hast ihn doch auch gesehen,
John?« fragte er geradezu flehentlich.
»Ja, Herr«,
sagte John tröstend, »mit meinen eigenen Augen. Zuerst war da die Spur beim Hanswald,
und von da an haben die Hunde ihre Nasen unten gehabt und haben den halben
Nachmittag gesungen. Sie dürften bald ihre zwanzig Meilen gelaufen sein.«
»Und was
ist dann passiert?« trauerte der Vikar. »Reineke löst sich in Luft auf, und die
Hunde rennen im Kreis um die große Ulme. Du bist sogar raufgeklettert. Nicht
einmal ein Schnurrhaar zu sehen und die Fährte so kalt wie das Mittagessen vom
letzten Sonntag.«
»Ich hab'
Ihnen doch gesagt, Herr«, sagte John, »daß Füchse nicht auf Bäume klettern.«
»Der
schon«, grollte der Vikar. »Mein Gott! Ich bin ganz steif. Und hungrig wie ein
Wolf.«
Müde stieg
er vorm Pfarrhaus ab und führte sein Pferd zum Stall.
Er rieb ihm
den Rücken trocken, warf ihm eine vorgewärmte Decke über und versorgte es mit
Futter; dabei hatte er ein Gefühl, als ob eine Riesenhand ihm jeden Knochen
einzeln herausgenommen und an der falschen Stelle wieder eingesetzt hätte.
Heftig
stöhnend betrat er die kleine dunkle Halle des Pfarrhauses und rief nach Betty,
die ihm die Stiefel ausziehen sollte.
Betty
beugte sich gerade über den zweiten Stiefel, als der Vikar spürte, daß er
beobachtet wurde.
Er blickte
auf und sah auf dem ersten Treppenabsatz eine zusammengekauerte
Gestalt.
Er schickte
Betty mit dem Auftrag weg, ihm Branntwein in sein Studierzimmer zu bringen, und
wartete, bis das Mädchen in die Küche gegangen war und die Tür hinter sich
geschlossen hatte.
»Komm
runter«, sagte der Vikar zu der Gestalt auf dem Absatz.
Carina
erhob sich und kam langsam die Stufen herab. Der Vikar war gerührt, als er die
verräterischen Tränenspuren auf ihren blassen Wangen sah.
Schweigend
folgte sie ihm in sein Arbeitszimmer. »Sag kein Wort«, sagte der Vikar und
stocherte kräftig im Feuer herum, »bis ich einen Tropfen Brandy getrunken
habe.«
Carina
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