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Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung

Titel: Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Alles wirkte, als sei die Beweislast allein dieser Nete Hermansen zugefallen. Das Verfahren wurde mit Freispruch für Curt Wad abgeschlossen, das war eindeutig belegt, aber in der Akte stand nichts darüber, was anschließend mit dieser Nete Hermansen passiert war.
    Da klingelte Carls Handy.
    »Das passt jetzt gerade gar nicht, Rose«, sagte er.
    »Na, das glaube ich aber doch. Hör mal: Nete Hermansen war eines der Mädchen auf Sprogø. Sie war von 1955 bis 1959 dort. Was sagst du nun?«
    »Ich sage, das habe ich mir fast gedacht.« Er wog die Akte in der Hand. Sie war ziemlich leicht.

    Eine Viertelstunde später hatten sie sämtliche Akten in den Kofferraum eingeladen.
    Als sie gerade die Kofferraumklappe schlossen, sahen sie einen grünen Lieferwagen den Hügel heraufkommen. Nicht der Wagen weckte Carls Aufmerksamkeit, sondern die Art, wie er plötzlich das Tempo drosselte.
    Carl richtete sich auf und blickte dem Wagen direkt entgegen. Der Fahrer schien zu zögern und sich nicht entscheiden zu können, ob er ganz anhalten oder beschleunigen sollte.
    Dann schaute der Fahrer im Vorbeifahren zu den Häusern. Suchte er eine Hausnummer? Aber die waren in dieser gepflegten Straße doch überdeutlich angebracht, was konnte daran so schwierig sein?
    Als der Wagen an Carl vorbeifuhr, wendete der Fahrer das Gesicht ab, sodass nur das weißblonde, wellige Haar zu sehen war.

27
    September 1987
    W ie ein König fühlte sich Tage, als Seeland draußen vor den Zugfenstern vorüberrauschte. Ein schneller Ritt zum Glück, dachte er und steckte einem kleinen Jungen eine Münze zu.
    Ja, es war die Zeit der Könige und heute war Krönungstag. Der Tag, an dem seine kühnsten Träume in Erfüllung gehen würden.
    Er stellte sich vor, wie sich Nete an die Frisur fasste und ihn etwas verlegen willkommen hieß. Er hatte das Gefühl, die Schenkungsurkunde schon in der Hand zu halten. Das Dokument, mit dem ihm zehn Millionen Kronen überschrieben würden - zur Zufriedenheit des Finanzamts und zu seinem ewigen Glück.
    Aber als er vorm Hauptbahnhof stand und ihm bewusst wurde, dass er Netes Straße nicht nur finden, sondern auch in einer knappen halben Stunde dorthin gelangt sein musste, meldete sich die Angst.
    Er ging auf ein Taxi zu, riss die Tür auf und fragte den Chauffeur, was die Fahrt in etwa kosten sollte. Und da der Preis, der ihm genannt wurde, zwei Kronen zu hoch war, bat er den Mann, ihn so weit zu fahren, wie sein Geld reichte.
    Er ließ die Münzen in die Hand des Fahrers fallen, fuhr siebenhundert Meter und wurde dann am Vesterbro Torv mit der Information abgesetzt, der kürzeste Weg sei durch die Theaterpassage und dann an den Seen entlang.
    Tage war es nicht gewöhnt, größere Strecken zu Fuß zurückzulegen. Die Schultertasche schlug hart gegen seine Hüfte und schon bald waren seine neuen Sachen durchgeschwitzt. Unter den Armen zeigten sich dunkle Flecke auf dem Jackett.
    Du kommst zu spät, du kommst zu spät, du kommst zu spät, hämmerte es in seinem Kopf, während er in gehetztem Laufschritt den Seeweg entlanglief. Und trotzdem zogen Jogger jeden Alters mühelos an ihm vorbei.
    Seine Lunge pfiff, und er bereute jede einzelne Zigarette, jedes einzelne Bier und jeden einzelnen Whisky, so sehr schmerzten seine Beine.
    Er knöpfte das Jackett auf und betete zu Gott, er möge es schaffen, und als er sein Ziel erreichte, war es 12.35 Uhr. Fünf Minuten zu spät.
    Deshalb stiegen ihm Tränen der Dankbarkeit in die Augen, als Nete ihm öffnete und er ihr die Einladung reichte, wie Nete es im Anschreiben verlangt hatte.
    Doch sobald er in die schöne Wohnung eingetreten war, fühlte er sich gleich wieder kläglich. Kläglich, weil Nete, der liebste Mensch in seinem Leben, ihm nun als erwachsene Frau gegenüberstand und ihn mit ausgestreckten Armen empfing. Er hätte weinen mögen, als sie ihn fragte, ob es ihm gut gehe und ob er nicht eine Tasse Tee wolle, und zwei Minuten später, ob er noch eine Tasse wolle.
    Es gab so viel, was er ihr hätte sagen wollen, wenn er sich nicht auf einmal so schlecht gefühlt hätte. Er hätte sagen wollen, dass er sie immer geliebt habe. Dass ihn die Scham, sie im Stich gelassen zu haben, fast um den Verstand gebracht habe. Er hätte sich hinknien und um Verzeihung bitten wollen, wenn ihn nicht aus heiterem Himmel eine dermaßen heftige Übelkeit überkommen hätte, dass er aufstoßen musste und seinen schönen neuen Anzug beschmutzte.
    Sie fragte, ob es ihm schlecht gehe und ob er ein

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