Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
Sønderskov und Mie Nørvig immer noch nicht zu Hause sind?«
Im Vorbeifahren warf Carl noch einmal einen Blick auf die so friedlich daliegende Insel, die nun Teil der Brückenverbindung zwischen Seeland und Fünen war. Ein weißer Leuchtturm auf einem grünen Hügel, hübsche gelbe Gebäude auf der Windschattenseite und überall grüne Wiesen und Büsche.
»Vorhof der Hölle« hatte Rose die Insel genannt, und Carl vermeinte, auf einmal zu spüren, wie das Böse über die Leitplanke waberte, vermeinte, die Gespenster der Vergangenheit mit verwundeter Seele und Narben am Unterleib zu erblicken. Hatte der dänische Staat tatsächlich derartige Übergriffe - gedeckt von gut ausgebildeten Ärzten und Mitarbeitern der Fürsorge - gebilligt, ja geradezu veranlasst? Das war wirklich kaum zu begreifen. Und doch, gab es nicht im Dänemark von heute ähnlich rabiate Behandlungsunterschiede? Offenbar waren die nur noch nicht zu Skandalen herangereift.
Er schüttelte den Kopf und beschleunigte. »Was hast du gerade gesagt, Assad?«
»Ich hab gefragt, was wir machen, wenn Herbert Sønderskov und Mie Nørvig noch nicht zu Hause sind?«
Carl wandte ihm den Kopf zu. »Dann steckt dein Taschenmesser doch sicher noch da, wo es vorhin steckte, oder?«
Assad nickte. Sie waren sich also einig. Sie mussten sich Zugang zu den verdammten Aktenschränken verschaffen und sehen, worum es bei diesem Hermansen-Fall ging, von dem Mie Nørvig gesprochen hatte. Auch ohne Durchsuchungsbefehl, denn den würden sie eh nicht bekommen, selbst wenn sie es versuchten.
Carls Handy klingelte und er drückte auf den Mithörknopf. »Ja, Rose, wo bist du?«
»Als Assad anrief, war ich gerade auf dem Weg ins Präsidium. Ist sowieso spannender als draußen in Stenløse rumzusitzen. Inzwischen habe ich ein paar Nachforschungen angestellt.« Sie klang geradezu aufgeregt. »Und ich kann dir sagen, da hab ich echt 'ne Überraschung erlebt. Stell dir vor, unter der Adresse in Nørrebro wohnt immer noch eine Nete Hermansen. Ist das nicht irre?«
Assad hielt anerkennend den Daumen in die Höhe.
»Na gut, aber das muss doch inzwischen eine ältere Dame sein.«
»Anzunehmen, das hab ich noch nicht überprüft. Aber ich kann sehen, dass sie unter derselben Anschrift früher als Nete Rosen gemeldet war. Hübscher Name, findest du nicht? Sollte man vielleicht mal für sich selbst in Erwägung ziehen. Rose Rosen, das klingt doch schön, oder? Vielleicht könnte die Frau mich adoptieren? Schlimmer als meine Mutter kann sie unmöglich sein.«
Assad grinste und Carl schluckte jeden Kommentar runter. Offiziell waren seinem Assistenten Roses Privatverhältnisse nicht bekannt. Wenn sie rausbekam, dass Carl in ihrem Privatleben herumgeschnüffelt und mit der echten Yrsa telefoniert hatte, würde sie ausflippen.
»Gut, Rose. Dann versuch doch bitte, noch mehr Daten über die Frau zu bekommen, ja? Wir sind gerade auf dem Weg nach Halsskov, um einen Blick in Nørvigs Karteischrank zu werfen. Gibt's sonst noch was Neues?«
»Ja, ich bin jetzt besser über Curt Wads Meriten informiert, denn ich habe mit einem Journalisten gesprochen, einem Søren Brandt, der jede Menge Material über die Partei gesammelt hat, hinter der Curt Wad steht.«
»Klare Grenzen?«
»Ja. Und mir scheint, als hätte dieser Wad die Grenzen in seinem Privatleben nicht immer ganz so klar gezogen. Alles in allem 'ne ziemlich miese Type, so wie's aussieht. Es hat im Lauf der Jahre eine ganze Reihe von Anzeigen und Verfahren gegen ihn gegeben, jedoch ist es nie zu einer Verurteilung gekommen, so unglaublich das auch klingt.«
»Was willst du damit andeuten?«
»Diverses. Aber ich hab mich noch nicht weit genug in die Fälle vertieft. Søren Brandt will mir noch mehr Material schicken. Derweil pflüge ich mich durch die Protokolle der alten Verfahren, die Curt Wad am Hals hatte, und dafür solltet ihr mir dankbar sein, denn meine Leibspeise ist das nicht gerade.«
Carl nickte. Seine auch nicht.
»In Zusammenhang mit Curt Wad gibt es ein altes Verfahren wegen Vergewaltigung, allerdings wurde die Klage fallen gelassen. Später wurden über Rechtsberatungsstellen drei weitere Anzeigen gegen ihn erstattet, und zwar 1967, 1974 und zuletzt 1996. Außerdem wurde er verschiedentlich wegen rassistischer Äußerungen angezeigt, es gab Klagen wegen Volksverhetzung, Klagen wegen Hausfriedensbruchs und - diverse Male - wegen Beleidigung. Allesamt zurückgewiesen und nur wenige davon, nach Søren Brandts Meinung,
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