Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
offensichtlich schwer. Warum sollte der Gefangene auch Gutes über den Gefängniswärter sagen?
»Fällt Ihnen die Antwort schwer, weil sie hässlich zu Ihnen war?«, schaltete Assad sich ein.
Hier nickte Nete Hermansen. »Nun ja, das ist wirklich nicht leicht.«
»Denn Sprogø war eine schlimme Insel, nicht wahr? Und Gitte Charles gehörte zu denen, die Sie dort festhielten?«, fuhr Assad fort, dessen Augen das Keksschälchen nicht loslassen wollten.
Wieder nickte sie. »Ich habe seit vielen Jahren nicht mehr an sie gedacht. Und auch nicht an Sprogø. Was die dort mit uns gemacht haben, war der helle Wahnsinn. Sie haben uns von der Welt isoliert. Sie haben uns die Eileiter durchtrennt. Sie haben uns als Schwachsinnige beschimpft, warum, weiß ich nicht. Und auch wenn Gitte Charles nicht zu den Schlimmsten gehörte, half sie mir jedenfalls in keiner Weise, von dort wegzukommen.«
»Sie hatten seither keinen Kontakt zu ihr?«
»Nein, Gott sei Dank nicht.«
»Dann gibt es noch Philip Nørvig. An den erinnern Sie sich doch bestimmt?«
Sie nickte schwach.
»Auch er verschwand an dem Tag«, fuhr Carl fort. »Von seiner Frau wissen wir, dass er nach Kopenhagen eingeladen war. Sie sagten eben, Sie hätten damals eine Phase gehabt, in der Sie sich mit Ihrer Vergangenheit auseinandersetzen mussten. In gewisser Weise trug Philip Nørvig ja eine Mitschuld an Ihrem Unglück, nicht wahr? Er war schuld daran, dass das Verfahren gegen Curt Wad diesen Ausgang nahm. Demnach wäre auch er jemand gewesen, mit dem Sie sich hätten auseinandersetzen müssen. War die Einladung, die er erhalten hatte, von Ihnen, Frau Hermansen?«
»Nein. Ich hatte nur Tage und Rita eingeladen, niemanden sonst.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das alles nicht. So viele Menschen, die zur selben Zeit verschwinden, und ich habe sie alle gekannt. Was mag da passiert sein?«
»Aus ebendiesem Grund beschäftigen wir vom Sonderdezernat Q uns mit der Sache. Alte unaufgeklärte Fälle, Fälle von besonderem Interesse, das ist unser Gebiet. Und so viele Vermisstenfälle auf einen Schlag, das ist schon auffällig. Zumal es zwischen den vermissten Personen offenbar Verbindungen gab - Verbindungen, die bis zu Ihnen reichen.«
»Wir haben ein paar Nachforschungen im Umfeld dieses Arztes, dieses Curt Wad, angestellt«, ergänzte Assad. Etwas schneller, als Carl es vorgehabt hatte, aber das war nun mal seine Art.
»Und auch zwischen ihm und mehreren der verschwundenen Personen gibt es Verbindungen«, fuhr Assad fort. »Insbesondere zu Philip Nørvig.«
»Curt Wad!« Sie hob den Kopf wie eine Katze, die den Vogel in Reichweite ihrer Klauen erblickt.
»Ja, wir wissen, dass mit Curt Wad Ihr Unglück vermutlich begonnen hat. Wir haben einer von Nørvigs Akten entnommen, dass er Ihre Vorwürfe abgestritten hat und dass es ihm sogar gelungen ist, sie gegen Sie zu wenden. Ich bedauere, da so nachbohren zu müssen, aber wenn Sie uns mögliche Zusammenhänge zwischen all diesen Vermissten und seiner Person nennen könnten, wären wir Ihnen sehr dankbar.«
Sie nickte. »Ich will versuchen, das alles zu durchdenken.«
»Ihr Fall war womöglich der erste in einer langen Reihe von Fällen, in denen Curt Wad die Wahrheit zu seinen Gunsten manipulierte, und zwar ohne Rücksicht auf das Leid, das er damit verursachte. Wenn es nun zu einer Anklage gegen ihn käme, wäre es sehr gut denkbar, dass wir Sie als Zeugin einladen würden. Als eine Zeugin von vielen. Wie stehen Sie dazu?«
»Ob ich als Zeugin gegen Curt Wad aussagen würde? Nein, ganz sicher nicht. Die Zeit ist für mich vorbei. Die Gerechtigkeit wird ihn auch ohne meine Mitwirkung einholen. Der Teufel steht sicher schon bereit und reibt sich die Hände.«
»Das verstehen wir sehr gut, Frau Hermansen«, sagte Assad und wollte sich gerade noch eine Tasse Tee einschenken, doch Carl bremste ihn mit einer Handbewegung.
»Dann hören wir in nächster Zeit voneinander, Frau Hermansen. Danke für die Bewirtung«, verabschiedete sich Carl und gab Assad mit einem Nicken zu verstehen, dass die Sitzung beendet war. Wenn sie sich etwas beeilten, konnte er noch schnell zu Hause vorbei fahren, sich umziehen und dann ausprobieren, ob der neue Schlüssel zu Monas Gemächern auch wirklich passte.
Assad bedankte sich, schnappte sich im Vorbeigehen noch schnell einen Keks, lobte ihn und hob dann plötzlich einen Finger in die Höhe.
»Halt, Carl! Es gibt doch noch einen Vermissten! Nach dem haben wir noch gar nicht
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