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Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung

Titel: Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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sperrte sich bei Ritas Anblick. Wie konnte Rita es überhaupt wagen, sie aufzusuchen, nach dem, was sie getan hatte? Ohne Ritas gnadenlosen Egoismus wäre vieles anders gekommen. Dann hätte Nete die Insel um einiges früher verlassen und könnte noch immer Kinder bekommen.
    »Na los, komm schon. Nete, wir hauen ab, was soll's! Weißt du noch, unsere alten Pläne? England und dann Amerika. Weg, irgendwohin, wo uns keiner kennt.«
    Nete sah zur Seite. »Woher wusstest du, wo ich bin?«
    Rita lachte nur. Also waren wieder einmal Zigaretten zum Einsatz gekommen. »Glaubst du vielleicht, Gitte Charles würde dich aus den Augen lassen, du Trottel? Die Schlampe hat mich tagein, tagaus damit gequält, dass sie mir brühwarm erzählt hat, wo und wie du in Freiheit lebst.«
    Gitte Charles! Allein den Namen zu hören, jagte Nete einen Schauder über den Rücken. Unwillkürlich ballten sich ihre Hände zu Fäusten. »Die Charles! Wo ist die jetzt?«
    »Wenn ich das rauskriege, dann gnade ihr Gott«, antwortete Rita kalt.
    Einen Augenblick musterte Nete sie. Sie hatte gesehen, wozu Rita imstande war. Hatte gesehen, wie sie mit dem Waschholz auf die Mädchen eingeprügelt hatte, die nicht für ihre Zigaretten zahlen wollten. Mit harten, gezielten Schlägen auf Körperstellen, wo die blauen Flecke nicht so auffielen.
    »Verschwinde, Rita«, sagte sie entschlossen. »Ich will dich nie mehr sehen, verstanden?«
    Rita hob das Kinn und sah Nete höhnisch an. »Ah, du bist fein geworden, du kleine Nutte. Du bist zu vornehm, um noch mit mir zu sprechen. Ist es das?«
    Nete nickte in Gedanken. Wenn man das Leben verstehen will, hatte sie im Laufe der Jahre gelernt, dann muss man sich an die zwei Wahrheiten des Menschen halten. Die erste Wahrheit waren die Worte ihres Bruders über die beiden Sorten von Menschen. Die zweite Wahrheit hatte das Leben selbst sie gelehrt: Das Menschenleben war ein andauernder Balanceakt über dem Abgrund der Versuchungen. Ein falscher Schritt, und man konnte sehr tief fallen.
    Im Augenblick war die Versuchung riesengroß, die Fäuste zu benutzen und Rita ihren Hochmut gewaltsam auszutreiben. Stattdessen atmete Nete einmal tief durch und wandte sich ab. Wenn jemand einer Versuchung erliegen musste, dann jedenfalls nicht sie.
    »Gute Reise, Rita«, sagte sie und hatte ihr schon den Rücken zugekehrt. Aber so leicht ließ Rita sich nicht abspeisen.
    »Bleibst du wohl hier!«, schrie sie und packte Nete an der Schulter. Dann richtete sie ihren Blick auf ein paar Hausfrauen mit Einkaufsnetzen, die dem Auftritt zusahen.
    »Hier stehen zwei Luder von Sprogø, die es für zehn Kronen liebend gern mit euren Männern treiben würden, bis denen Hören und Sehen vergeht. Die hier, die ist die Schlimmste«, rief sie, packte Netes Gesicht und drehte es mit Wucht in Richtung der Frauen. »Seht euch das Gesicht dieser Nutte an. Glaubt ihr nicht, eure Männer hätten lieber sie im Bett als euch, ihr hässlichen alten Krähen? Sie wohnt übrigens hier im Ort, also passt gut auf.«
    Rita sah Nete aus zusammengekniffenen Augen an. »Kommst du nun mit, Nete? Wenn nicht, bleibe ich hier stehen und schreie, bis die Polizei kommt. Dann wirst du hier im Dorf aber Spaß haben, das kannst du mir glauben.«

    Später klopfte es an ihre Tür. Sie saß in ihrem Zimmer und weinte, als ihr Ziehvater mit ernster Miene eintrat.
    Lange schwieg er.
    Jetzt wird er mich bitten, meine Sachen zu packen und zu gehen, dachte sie. Jetzt muss ich weiter. Und bestimmt bringen sie mich wieder zu einer Familie, die mich von anständigen Menschen fernhält. Zu einer Familie, die keine Scham kennt.
    Da legte Erik Hanstholm behutsam seine Hand auf ihre. »Nete, du sollst wissen, dass man hier im Dorf nur darüber spricht, wie anständig du dich in der Situation benommen hast. Du hast die Hände zu Fäusten geballt, das haben sie alle gesehen, aber du hast nicht zugeschlagen. Stattdessen hast du dich mit der Macht der Worte gewehrt, und das war gut.«
    »Nun wissen es alle«, sagte Nete.
    »Wissen was? Sie wissen nur, dass du dich gegen diese Frau, die dich provoziert hat, sehr besonnen verteidigt hast - mit Worten. Wie sagtest du noch gleich? ›Ausgerechnet du nennst mich Nutte? Ach, Rita, hör endlich auf, von dir auf andere zu schließen. Wenn du das nächste Mal mit solchen Verleumdungen auf kreuzt, werden dir die Frauen hier einfach einen Spiegel in die Hand drücken. Geh deines Weges und komm nie wieder, sonst rufe ich die Polizei.‹« Er nickte. »So

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