Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
Dort betrachtete sie einen Augenblick die Pflanze mit den klebrigen Fasern. Im Moment roch sie nicht so stark.
Sie streute die Asche in den Blumentopf, dann drehte sie sich zum Sekretär um.
Zuoberst lag ein Stapel Umschläge mit dazugehörigem geblümtem Briefpapier. Eines dieser Höflichkeitsgeschenke an die Gastgeberin. Sie nahm sechs Umschläge, setzte sich an den Esstisch und versah jeden mit einem Namen.
Curt Wad, Rita Nielsen, Gitte Charles, Tage Hermansen, Viggo Mogensen und Philip Nørvig.
Ein Name für jede Phase ihres Lebens, in der sich die Dinge in die verkehrte Richtung entwickelt hatten.
So wie die Namen nun vor ihr lagen, wirkten sie alles andere als bedeutungsvoll. Ja, sie kamen ihr fast belanglos vor. Menschen, die man mit einem Federstrich aus seinem Leben streichen konnte. Leider war das in der Realität nicht so. In der Realität liefen die Namensträger, falls sie noch lebten, genauso frei herum wie Curt Wad - ohne jemals die Vergangenheit zu reflektieren oder auch nur eine Spur des Leids zu bemerken, das ihr Tun hinterlassen hatte.
Aber sie würde dafür sorgen, dass sie innehielten und zurückschauten. Und zwar zu Netes Bedingungen.
Dann griff sie nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer des Einwohnermeldeamts.
»Guten Tag. Mein Name ist Nete Hermansen. Würden Sie mir freundlicherweise weiterhelfen, einige Menschen wiederzufinden, von denen ich nur veraltete Anschriften habe?«
7
November 2010
E s wehte ein böiger Wind, und schon von Weitem stieg Carl der Leichengeruch in die Nase, der schwer in der feuchten Herbstluft hing.
Hinter ein paar Bulldozern mit gesenkten Schaufeln standen die weiß gekleideten Mitarbeiter der Mordkommission und konferierten mit den Technikern aus der Gerichtsmedizin.
Sie waren also schon so weit, dass der Leichnam zur Autopsie abtransportiert werden konnte.
Terje Ploug paffte, mit einer Akte unterm Arm, seine Pfeife, und Marcus Jacobsen seine Zigarette, aber das half nichts. Der arme Kerl, den man hier auf so unschickliche Weise zur Ruhe gebettet hatte, war längst in einen Zustand totaler Auflösung übergegangen und stank einfach bestialisch. Insofern war es fast ein glücklicher Umstand, dass die meisten der Anwesenden mit verstopftem Geruchsorgan herumliefen.
Mit zugekniffenen Nasenlöchern trat Carl näher und betrachtete die Holzkiste, die, obwohl beinahe komplett freigelegt, noch immer in der Erde steckte. Ihr Deckel war geöffnet und sie war mit nur etwa fünfundsiebzig Zentimetern Kantenlänge erstaunlich klein. Doch für eine ordentlich zerteilte Leiche bot sie reichlich Platz. Sie war solide und aus alten, geölten Fußbodendielen mit Nut und Feder zusammengehauen. Diese Kiste hätte noch ewig in der Erde liegen können, ohne zu verrotten.
»Warum haben die den Mann nicht einfach direkt in die Erde versenkt?«, fragte Carl, als er am Rand der Grube stand. »Und warum haben sie ausgerechnet diese Stelle gewählt?« Er deutete auf das Gebiet. »An Platz fehlt's hier doch nun wirklich nicht.«
»Wir haben uns die Fußbodendielen angeschaut, die man aus der Baracke gebrochen hatte.« Der Chef der Mordkommission zog sich den Schal fester um den Kragen seiner Lederjacke und deutete auf einen Haufen Bretter hinter ein paar Bauarbeitern in orangefarbenen Overalls.
»Wir wissen jetzt exakt, an welcher Stelle man die Dielen im Fußboden ausgesägt hat«, fuhr Jacobsen fort. »Es handelt sich um ein Stück an der ehemaligen Südwand, fast ganz in der Ecke. Vor nicht allzu langer Zeit hat man dort mit einer Kreissäge gearbeitet, die Techniker sagen, innerhalb der letzten fünf Jahre.«
Carl nickte. »Okay. Dann ist das Opfer also anderswo getötet, zerteilt und anschließend hierhergebracht worden.«
»Ja, sieht ganz so aus«, sagte Marcus Jacobsen und schniefte. Der Rauch der Zigarette umhüllte seinen Kopf. »Vielleicht als Ermahnung für Georg Madsen, nicht einfach zu tun, wozu er Lust hatte, falls er nicht auch so enden wollte wie der arme Mensch, der dort liegt.«
Terje Ploug nickte. »Die Techniker meinen, die Kiste sei unter dem durchgesägten Stück im Wohnzimmer vergraben worden. Soviel ich der Skizze hier im Bericht entnehmen kann ...«, er deutete auf einen Grundriss in seinen Unterlagen, »... war das direkt unter dem Stuhl, auf dem ihr Georg Madsen mit dem Nagel im Kopf gefunden habt. Dort, wo auf euch geschossen wurde.«
Carl richtete sich auf. Alles in allem waren das keine Informationen, die geeignet waren, um diesen
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