Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
nachdem sie mich ins Krankenhaus gebracht hatten? Hast du nicht selbst mit dem Mann gesprochen?«
»Nein. Der Mann klappte am Abend desselben Tages mit einem Herzanfall zusammen und starb gleich da drüben an der Bordsteinkante, noch während wir zusammenpackten. Offenbar hatten ihn der Mord und die plötzliche massive Polizeipräsenz zu sehr geschockt.«
Carl schob die Unterlippe vor. Na, da kam ja insgesamt eine Menge Toter zusammen, die diese Druckluftnagler-Schweine auf dem Gewissen hatten.
»Tja, das hast du offenbar nicht gewusst.« Ploug zog seinen Block aus der Innentasche. »Dann weißt du vielleicht auch nicht, dass wir vor Kurzem Informationen über zwei vergleichbare Morde in Holland bekommen haben. Im Mai beziehungsweise September letzten Jahres fand man in Schiedam, einem Hochhausviertel außerhalb Rotterdams, zwei Männer, die ebenfalls mit einem Druckluftnagler hingerichtet worden waren. Wir haben einiges an Bildmaterial von dort bekommen.«
Er öffnete die Aktenmappe und deutete auf Fotos der beiden Schädel. Unterdessen sicherten Polizisten den Fundort mit Absperrband.
»In den Schläfen der Leichen aus Holland steckten jeweils neun Zentimeter lange Paslode-Nägel, genau wie bei den Mordopfern auf Seeland. Ich schicke dir nachher Kopien des Materials. Wenn der Bericht aus der Rechtsmedizin vorliegt, wenden wir uns dem Thema wieder zu.«
Okay, dachte Carl. Dann bekommen Hardys graue Zellen endlich mal wieder was zu tun.
Er fand Lis in Roses Büro. Die Arme unter der Brust verschränkt, lauschte sie nickend Roses Betrachtungen über das Leben im Allgemeinen und im Keller im Besonderen. Er hörte Bruchstücke wie »miese Verhältnisse«, »Grabkammerstimmung« und »lächerliches Chefgehabe« und wollte ebenfalls schon zustimmend nicken, als ihm bewusst wurde, dass die Rede von ihm selbst war.
»Ähem«, räusperte er sich und hoffte, Rose würde zusammenzucken, aber sie würdigte ihn keines Blicks.
»Hier erscheint das Wunder Gottes in höchsteigener Person«, sagte sie nur und reichte ihm einen Stoß Papiere. »Achte auf das, was ich im Rita-Nielsen-Fall angestrichen habe, und preise dich glücklich, dass es hier in diesem Loch Mitarbeiter gibt, die auf den Laden aufpassen, während andere unter freiem Himmel herumfurzen.«
Oh Gott, war es wieder so weit? Wenn sie so drauf war, dauerte es bestimmt nicht mehr lange, bis die vermeintliche Zwillingsschwester Yrsa wieder hier aufkreuzte.
»Du bist oben gewesen und hast nach mir gefragt?«, sagte Lis, nachdem sie Rose in ihrem schwarz-weißen Reich alleine gelassen hatten.
»Ich habe vergeblich versucht, meinen Cousin Ronny ausfindig zu machen, und da dachte ich, dass ...«
»Ah ja, die Sache.« Für einen Moment wirkte sie enttäuscht. »Bak hat uns ein bisschen was erzählt. Was für eine Geschichte! Aber ich tue, was ich kann.«
Sie schenkte ihm ein Lächeln, worauf sich seine Kniekehlen wie Gelee anfühlten, und bewegte sich dann in Richtung Archiv.
»Warte noch einen Augenblick, Lis«, bremste Carl sie. »Was ist eigentlich mit der alten Sørensen passiert? Die wirkt ja plötzlich so ... ja, ich hätte beinahe gesagt herzlich.«
»Oh ja, Catarina, äh, ich meine Cata. Sie nimmt derzeit an einem NLP-Kurs teil.«
»An einem NLP-Kurs? Was zum Teufel ist das denn ...?«
In diesem Moment klingelte Carls Handy. Morten Holland war auf dem Display zu lesen. Was um alles in der Welt wollte sein Untermieter um diese Zeit von ihm?
»Ja, Morten?«, sagte er und nickte Lis zu, die mit einem eleganten Hüftschwung kehrt machte und verschwand.
»Störe ich?«, klang es vorsichtig aus dem Hörer.
»Hat der Eisberg die Titanic gestört? Hat Brutus Cäsar gestört? Was ist los? Ist was mit Hardy?«
»Äh, ja, in gewisser Weise. Der war übrigens gut, der mit der Titanic, echt. Ja, also Hardy würde gern mit dir sprechen.«
Carl hörte, wie der Hörer über Hardys Kopfkissen rutschte. Das war eine neue Unsitte von Hardy und Morten. Früher hatten sich Hardy und Carl auf ein abendliches Plauderstündchen an der Bettkante beschränkt, aber das reichte wohl nicht mehr.
»Kannst du mich hören, Carl?« Carl konnte vor sich sehen, wie Morten dem großen gelähmten Mann das Telefon ans Ohr drückte. Halb geschlossene Augen, gerunzelte Stirn, trockene Lippen. Aus Hardys Stimme sprach eine schlecht verhohlene Besorgnis. Demnach hatte er garantiert schon mit Terje Ploug gesprochen.
»Ploug hat angerufen«, sagte er. »Du weißt ja wohl, worum es
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