Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
geht?«
»Ja.«
»Okay. Und worum geht es wirklich, Carl, kannst du mir das mal verraten?«
»Es geht darum, dass die Leute, die auf uns geschossen haben, kaltblütige Mörder sind, die mit aller Macht und Gewalt für Disziplin in den eigenen Reihen sorgen.«
»Du weißt doch genau, dass ich das nicht meine.« Eine Pause entstand. Eine von der unbehaglichen Sorte. Eine von denen, die in der Regel mit Konfrontation endeten.
»Weißt du, was ich denke? Ich denke, dass Anker tief in diesen Mist verstrickt war. Er wusste, dass in der Baracke ein toter Mann saß, ehe wir dort rausgefahren sind.«
»Aha. Und worauf stützt du das, Hardy?«
»Ich weiß es einfach. Er hatte sich in vielerlei Hinsicht verändert. Er brauchte mehr Geld als früher, sein ganzes Wesen war anders. Und dann ging er an dem Tag nicht nach Vorschrift vor.«
»Wie meinst du das?«
»Er ist zum Nachbarn rübergegangen, um ihn zu vernehmen, noch ehe wir überhaupt in Georg Madsens Haus drinnen waren. Aber woher konnte er mit Sicherheit wissen, dass dort ein toter Mann lag?«
»Das hatte der Nachbar doch angezeigt.«
»Also wirklich, Carl. Wir haben ja alle naselang erlebt, dass es sich bei einer solchen Anzeige am Ende um ein totes Tier handelte oder um Geräusche aus dem Radio oder Fernseher. Anker ging immer mit rein, um zu checken, ob es falscher Alarm war, ehe er die Nachbarschaft aufsuchte. Nur an diesem Tag nicht.«
»Warum erzählst du mir das ausgerechnet jetzt? Meinst du nicht, dass du früher reichlich Gelegenheit dazu gehabt hättest?«
»Kannst du dich daran erinnern, dass Minna und ich Anker bei uns aufgenommen hatten, damals, als ihn seine Frau an die Luft gesetzt hatte?«
»Nein.«
»Das war auch nur für kurze Zeit, aber Anker steckte damals bis zum Hals im Dreck. Er kokste.«
»Ja, das ist mir inzwischen auch klar geworden, dafür hat dieser blöde Psychologe gesorgt, dieser Kris, den Mona mir auf den Hals gehetzt hat. Aber damals wusste ich das nicht.«
»An einem der Abende war er in eine Schlägerei verwickelt, als er in der Stadt unterwegs war. Seine ganzen Klamotten waren blutig.«
»Und ...?«
»Die waren nicht nur blutig, die waren blutgetränkt, Carl. Da war so viel Blut dran, dass er die Sachen anschließend weggeschmissen hat.«
»Und jetzt erkennst du auf einmal einen Zusammenhang zwischen dem Leichenfund heute und dem Vorfall damals?«
Wieder diese Pause. Hardy war einer der besten Ermittler gewesen, damals, als er sich noch in der Senkrechten bewegt hatte. »Wissen und Intuition«, so hatte er das immer erklärt. Diese verfluchte Intuition.
»Lass uns abwarten, was die Obduktion ergibt, Hardy.«
»Der Schädel in der Kiste hatte doch keine Zähne, oder?«
»Nein.«
»Und die Leiche war völlig zersetzt.«
»Ja, so was in der Art. Nicht ganz wie Suppe, aber fast.«
»Dann bekommen wir auch nicht raus, wer der Mann war.«
»Tja, das ist dann wohl so, Hardy, oder?«
»Du hast gut reden, Carl. Du liegst ja nicht hier mit einem Schlauch in den Eingeweiden und starrst Tag und Nacht an die Decke. Wenn Anker bei dem Scheiß mitgemacht hat, dann ist es auch seine verdammte Schuld, dass ich hier liege. Deshalb, Carl, rufe ich dich an. Also behalte diesen verwünschten Fall im Auge, ja? Und falls Terje Ploug schludert, dann bist du es deinem alten Partner schuldig, ihn gehörig an den Ohren zu ziehen, hörst du?«
Als Morten Holland entschuldigend die Verbindung unterbrach, fand Carl sich auf der Kante seines Stuhls sitzend wieder. Roses Unterlagen ruhten auf seinem Schoß. Er hatte keinen blassen Schimmer, wie er in sein Büro gekommen war.
Kurz schloss er die Augen und versuchte, Anker vor sich zu sehen. Die Züge seines ehemaligen Partners waren völlig verwischt. Wie sollte er sich da an Ankers Pupillen erinnern, an seine Nasenlöcher, seine Stimme und an all das andere, das auf Kokainmissbrauch hindeutete?
8
November 2010
H ast du dir angesehen, was Rose in der Akte Rita Nielsen angemarkert hat, Carl?«
Carl hob den Blick und hätte fast losgeprustet. Vor ihm stand Assad und wedelte mit irgendwelchen Papieren. Offenbar war ihm etwas eingefallen, um die ständig tropfende Nase in den Griff zu bekommen: In seinen Nasenlöchern steckten Wattebäusche, die so dick waren, dass seine ohnehin undeutliche Aussprache der Zischlaute nun noch verwaschener klang.
»Was hat sie wo angemarkert?« Carl unterdrückte ein Grinsen.
»In der Akte von dieser Bordelldame, die in Kopenhagen verschwunden ist: Rita
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