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Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung

Titel: Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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sogenannten ›leichten Mädchen‹. Da wurde dann von niedriger Sexualmoral geschwafelt, davon, dass diese Frauen Geschlechtskrankheiten verbreiteten und degenerierte Kinder zur Welt brächten. Um solche Frauen loszuwerden, verfrachtete man sie ohne Umschweife auf unbestimmte Zeit nach Sprogø. Die Ärzte meinten offenbar, das Recht und sogar die Pflicht dazu zu haben, denn natürlich stellten sie keine Sekunde in Zweifel, dass sie selbst die Norm vertraten und die Frauen entsprechend abnorm waren.«
    Rose schwieg einen Moment, um ihrem nächsten Satz mehr Gewicht zu verleihen.
    »Meiner Meinung nach waren diese Mediziner nichts weiter als jämmerliche Schmalspurärzte, was ihrer Selbstgerechtigkeit und Selbstverliebtheit jedoch keinen Abbruch tat. Und sie standen sofort bereit, wenn ein Dorf oder ein Städtchen eine Frau loswerden wollte, die mit den bürgerlichen Moralbegriffen in Konflikt geraten war. Ein fast gottähnliches Gebaren, das sie sich da anmaßten.«
    Carl nickte. »Ja, oder ein teuflisches«, fügte er hinzu. »Aber wenn ich ehrlich sein soll, habe ich immer geglaubt, die Frauen auf der Insel seien ›schwachsinnig‹ gewesen, wie man damals sagte. Nicht, dass das die Behandlung rechtfertigt, der sie ausgesetzt waren«, schob er schnell nach. »Vielleicht eher im Gegenteil.«
    »Tsss«, unterbrach Rose ihn höhnisch. »›Schwachsinnig‹, klar, so hieß das damals. Vielleicht waren sie das den idiotischen, primitiven Intelligenztests der Ärzte zufolge, aber wer zum Teufel waren denn die, die sich erlaubten, Frauen ›schwachsinnig‹ zu nennen? Diese Frauen hatten vielleicht ihr Leben lang schlichtweg keinen Input bekommen. Die meisten waren einfach Sozialfälle. Aber behandelt wurden sie, als wären sie kriminell und minderwertig. Selbstverständlich waren darunter Geistesschwache oder Minderbegabte, aber das waren bei Weitem nicht alle. Und soweit ich weiß, galt und gilt Dummheit in Dänemark nicht als kriminell! Falls doch, dann würden von der aktuellen Regierung nicht viele Mitglieder frei herumlaufen. Nein, das waren schlicht und einfach inakzeptable Übergriffe, die sie sich da erlaubt haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und Amnesty International hätten denen jedenfalls keine Medaille verliehen. Und dabei kann man ja nicht mal sicher sein, ob so was in der Art in diesem Land nicht noch immer passiert. Denkt nur an alle, die mit Gurten fixiert werden. Die bewusstlos gemacht werden mit Pillen und dem ganzen Dreck, bis sie verrotten. Die die Staatsbürgerschaft nicht erhalten, weil sie irgendwelche scheißlächerlichen Fragen nicht beantworten können.« Den letzten Satz spuckte Rose förmlich aus.
    Ihr fehlt Schlaf oder sie hat ihre Periode, dachte Carl und grub in der Tasche nach den Keksen, mit denen Lis ihn versorgt hatte.
    Er bot Rose einen an, aber sie schüttelte den Kopf. Ach ja, sie hatte ja Magenprobleme, jetzt erinnerte er sich. Dann bot er Assad einen an, aber der wollte auch nicht. Na, umso besser, blieben eben mehr für ihn selbst.
    »Sprogø war eine Insel, Carl, von der die Frauen nicht wegkamen. Für die Frauen war das der Vorhof zur Hölle. Sie galten als krank, bekamen aber keine Behandlung, denn es gab dort kein Krankenhaus. Ein Gefängnis gab es zwar auch nicht, aber trotzdem saßen die da auf unbestimmte Zeit fest. Manche von ihnen hatten fast ein Leben lang keinen Kontakt zur Familie oder überhaupt zur Außenwelt. Und das ging so bis 1961. Verdammt, Carl, das war noch zu deiner Zeit, ist dir das überhaupt klar?« Ohne Zweifel war Roses soziale Empörung geweckt.
    Er wollte protestieren, aber sie hatte ja recht. Es war tatsächlich noch zu seiner Zeit geschehen, und er war völlig überrascht.
    »Okay«, nickte er. »Christian Keller deportierte also Frauen nach Sprogø, von denen er meinte, sie seien für ein normales Leben nicht geeignet? Und diese Rita Nielsen landete deshalb dort?«
    »Ja, zum Teufel. Ich habe die ganze Nacht hier gehockt und alles über die Dreckskerle gelesen. Über Keller und seinen Nachfolger, einen Typ namens Wildenskov. Die beiden leiteten die Keller'schen Anstalten in Brejning von 1923 bis 1959, zwei Jahre, bevor die Institution geschlossen wurde. Innerhalb dieser fast vierzig Jahre verfrachteten sie tausendfünfhundert Frauen für unbestimmte Zeit auf die Insel. Und die waren dort nicht auf Rosen gebettet, das kannst du mir glauben. Harte Behandlung, harte Arbeit. Schlecht ausgebildetes Personal, das die Frauen quasi als

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