Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
richtig?«, fuhr Carl fort.
Herbert Sønderskov runzelte die Stirn. Der etwas gebeugte Pensionär hatte jahrelange Erfahrung darin, Anklagen gegen seine Klienten von deren Schultern zu nehmen, und diese Erfahrung wandte er jetzt in eigener Sache an.
»Selbstverständlich war das, worauf sich Philip eingelassen hatte, nichts, woraus ich mir etwas machte. Aber der Bruch mit ihm hatte weniger ideologischen als praktischen Charakter.«
»Ja, äußerst praktisch. Sie bekamen seine Klienten und seine Frau«, warf Assad trocken ein. Vielleicht ein wenig gewagt? »Waren Sie eigentlich gut befreundet, damals, als er verschwand? Und wo waren Sie zu dem Zeitpunkt?«
»Ach, wollen wir uns jetzt in diese Richtung umorientieren?« Herbert Sønderskov wandte sich Carl zu. »Mir scheint, Sie sollten Ihrem Helfer erzählen, dass ich im Laufe der Jahre Kontakt zu vielen Mitarbeitern der Polizei hatte und fast täglich mit derartigen kleinen Anzüglichkeiten und Provokationen konfrontiert war. Ich bin hier nicht angeklagt und war es auch nie, ist das klar? Und außerdem war ich damals auf Grönland. Dort habe ich ein halbes Jahr lang praktiziert. Ich bin erst nach Hause zurückgekehrt, als Philip bereits verschwunden war. Einen Monat später war das, glaube ich, und das kann ich natürlich beweisen.«
Erst an dieser Stelle wandte er sich Assad zu, als wollte er sehen, ob sein Gegenangriff eine angemessen schuldbewusste Miene auf dessen Gesicht gezaubert hatte. Aber da suchte er vergeblich.
»Ah ja. Und in der Zwischenzeit war dann auch Philip Nørvigs Frau frei geworden?« Assad ließ nicht locker.
Erstaunlicherweise kommentierte Mie Nørvig Assads Unhöflichkeit nicht. War sie womöglich auch schon auf diese Idee gekommen?
»Nein, also das geht nun doch zu weit.« Herbert Sønderskov sah auf einmal viel älter aus, aber die frühere Bissigkeit lauerte trotzdem noch hinter der Fassade. »Wir öffnen Ihnen unser Heim, empfangen Sie freundlich und dann muss man sich so etwas anhören. Wenn es so ist, dass die Polizei heutzutage tatsächlich mit solchen Methoden arbeitet, sollte ich wohl doch fünf Minuten opfern und die Telefonnummer der Polizeipräsidentin heraussuchen. Wie war noch mal Ihr Name? Assad? Und wie war der Nachname?«
Ich muss die Lage entschärfen, dachte Carl. Noch mehr Ärger konnte er im Moment nicht gebrauchen.
»Entschuldigen Sie, Herr Sønderskov, mein Assistent ist zu weit gegangen. Wir haben ihn von einem anderen Dezernat ausgeliehen, wo die Kollegen es mit einer weniger ausgesuchten Klientel zu tun haben und wo entsprechend ein etwas rauerer Ton herrscht.« Hier drehte er sich zu Assad um. »Sei so nett und warte am Wagen, Assad, ja? Ich komme gleich nach.«
Assad zuckte die Achseln. »Okay, Boss. Aber denk daran, nachzuschauen, ob in einer dieser vielen Schubladen etwas über Rita Nielsen zu finden ist.« Er deutete auf die Rolladenschränke. »Auf dem dort steht jedenfalls L bis N.« Dann machte er kehrt und stolperte aus dem Raum, als hätte er zwanzig Stunden auf einem Pferd gesessen oder wäre auf der Toilette doch noch nicht ganz fertig geworden.
»Ja«, sagte Carl und wandte sich an Mie Nørvig. »Das stimmt. Ich hätte sehr gern die Erlaubnis, nachzusehen, ob in diesen Schränken etwas über die Frau zu finden ist, die am selben Tag verschwand wie Ihr Mann. Ihr Name war Rita Nielsen. Darf ich?«
Ohne die Antwort abzuwarten, zog er die Schublade auf, an der L bis N stand, und blickte auf eine Unmenge von Mappen. Verflixt viele Nielsens.
Im selben Augenblick kam Herbert Sønderskov von hinten und schob die Schublade wieder zu.
»Ich fürchte, hier muss ich Halt sagen. Das ist vertrauliches Material, Sie kennen doch die anwaltliche Schweigepflicht? Bitte seien Sie so nett und gehen Sie.«
»Dann muss ich einen Durchsuchungsbefehl anfordern«, erwiderte Carl und holte sein Handy aus der Tasche.
»Ja, tun Sie das. Aber zuerst gehen Sie.«
»Ich glaube, das wäre keine gute Idee. Wenn es dort drinnen tatsächlich eine Akte zu Rita Nielsen gibt, ist die vielleicht in einer Stunde nicht mehr da, wer weiß? Solchen Akten wachsen manchmal urplötzlich Beine.«
»Wenn ich will, dass Sie jetzt gehen, dann gehen Sie. Habe ich mich klar ausgedrückt?« Frostiger konnte eine Stimme nicht klingen. »Möglich, dass Sie einen Durchsuchungsbefehl bekommen - aber immer mit der Ruhe. Ich kenne das Gesetz.«
»Unsinn, Herbert.« Jetzt demonstrierte seine Lebensgefährtin, wer letztlich die Hosen anhatte und
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