Carlotta steigt ein
mühten sich ab, mit den
Straßenlichtern zu wetteifern. Ein Halbwüchsiger in Lederjacke trottete mit
einem plärrenden Recorder auf hochgezogener Schulter vorbei.
Mooney ließ seine Hand länger
als unbedingt nötig auf meinem Arm. «Mehr, als ich je dafür bezahlt habe, jemandem
die Schulter zu tätscheln», sagte er.
«Es hat sich aber doch
gelohnt.» Ich lächelte, um nicht zu spitz zu klingen. «Gib her.»
«Du kannst erst kassieren, wenn
ich kassiert habe.»
«Mein Gott, Mooney. Bei den
Schlägern kassieren, mit denen du zusammengesessen hast? So lange kann ich
nicht warten.»
«Wenn ich warten kann, kannst
du’s auch», sagte Mooney. «Du bist noch jung, du wirst mich überleben.»
Mooney verfällt gern auf diese
Alte-Herren-Tour; ich nehme an, er sieht langsam die Vierzig auf sich zukommen.
Er hat ein paar graue Strähnen im Haar und beim Lächeln Krähenfüße um die
Augen, aber er hält sich in Form, und das ist nicht zu übersehen.
«Wild leben, jung sterben»,
sagte ich. Roz besitzt ein lila T-Shirt, von dem einem dieser Slogan in sattem
Gold quer über der Brust entgegenleuchtet. Roz ist um die Zwanzig. Ich frage
mich immer, wie lange sie es wohl noch zu tragen gedenkt.
«Falsch, Carlotta», sagte
Mooney. «Ich habe es in der Schule gelernt. Es heißt: Nur die Guten sterben
jung. Ehe sie noch die Chance haben, Unsinn zu machen.»
«Was hast du da drin eigentlich
gemacht?» fragte ich.
«Polizeiarbeit.»
Das kam rüber wie ein Schlag
ins Gesicht, und ich trat einen Schritt zurück, um Mooney zu zeigen, daß er an
Deutlichkeit nichts zu wünschen übriggelassen hatte. Manchmal denke ich, daß er
immer noch sauer auf mich ist, weil ich den Polizeidienst quittiert habe. «Ach ja?
Drogen? Ich kannte die Punks an deinem Tisch gar nicht.»
«Und was hast du dort gemacht?»
«Ermittlungen.»
«Mach keinen Quatsch! Du
bearbeitest einen Fall?»
«Es wäre schmeichelhafter für
mich, wenn du nicht so überrascht dreinschauen würdest, Mooney.»
«Wußte nicht, daß du mein
Gesicht sehen kannst.»
«Liegt an den Straßenlaternen.
Sie dienen der Verbrechensbekämpfung.»
«Mein Wagen steht drüben am Woodlawn.»
«Laß uns einfach ein bißchen um
den Block schlendern», sagte ich.
Wir gingen eine Weile still
nebeneinander her, in der Art von Stille, die eine Großstadtstraße
kennzeichnet, mit Türenknallen und Autohupen. Ich weiß nicht, was in Mooney
vorging, aber ich genoß das Stück Weg, das ich brauchte, bis ich mit ihm
Schritt halten konnte. Ich mochte Spaziergänge mitten in der Nacht immer gern.
Mein Ex-Mann und ich waren große Spaziergänger. Boston ist eine Stadt für
Fußgänger. Und außerdem — nun ja, ich bin schon lange nicht mehr auf einem
nächtlichen Streifzug gewesen.
Nicht daß ich Angst hätte. Ich
kann selbst auf mich aufpassen. Ich bin in Detroit aufgewachsen, und verglichen
mit den Kids der Motorstadt wissen die hiesigen Punks gar nicht, was hart drauf
wirklich heißt. Ich habe keine Angst vor den Straßen. Höchstens vor dem blöden
«Hab ich dir doch immer gesagt». Sie wissen ja, wie das geht: «Siehst du,
Carlotta, das wäre alles nicht passiert, wenn du so vernünftig gewesen wärst,
zu Hause zu bleiben.»
Traurige Zustände, nicht wahr,
wenn sich eine über einsachtzig große Frau wie eine im eigenen Haus Gefangene
benimmt, sobald es dunkel wird. Ich sog den scharfwürzigen Geruch der
Szechuan-Imbißstube ein und schwor, mir endlich wieder nächtliche Spaziergänge
zu gönnen.
«Lust auf ein Eis?» fragte
Mooney.
Mooney behauptet, mein
Geschmack sei irgendwo in den Kinderschuhen steckengeblieben. Eis ist meine
Lieblingsspeise, und Boston ist ein Mekka dafür. Ich ging im Geiste rasch die
einschlägigen Örtlichkeiten durch. «Bei Herrell’s ?» fragte ich und
vergaß, meine hörbare Begeisterung zu unterdrücken.
Er grinste. «Klar. Wir nehmen’s
von den fünfzig.»
«Wessen fünfzig?» fragte ich.
Bei Herrell’s gibt es
Mokkaeis, auf das ich geradezu versessen bin. Herrell ist eigentlich Steve, um
genau zu sein. Er hat einen Salon unter dem Namen Steve’s vor Jahren in
Davis Square, Somerville, eröffnet und fast im Alleingang das Eisschlecken
wieder attraktiv gemacht. Dann ist er in den Ruhestand getreten und hat sein
erfolgreiches Imperium, damals bereits eine Ladenkette, an einen Typen mit
Namen Joey verkauft, der damit Inhaber von Steve’s wurde. Doch Steve
beschloß auf einmal, ein Comeback zu wagen, nur hatte er ja seinen Vornamen an
Joey
Weitere Kostenlose Bücher