Carolin - GesamtWerk
verdammten Göre ausgeliefert und mühsam formte sie Worte aus ihren Seufzern. „Ja, ich habe verstanden.“
Erneut wurde sie vom Stock getroffen, dann trat das Mädchen vor sie hin und ließ die längliche lederne Klatsche der Gerte einige Grashalme streicheln. Wieder erschien das hochmütige Lächeln. „Vielleicht sagst du mir mal deinen Namen und vielleicht versprichst du jetzt, mir demütig zu gehorchen?“
Nur einen winzigen Moment währte Carolins Zögern. „Ich heiße Carolin … Ja, ich verspreche … Ihnen, demütig zu gehorchen.“ Schwerer noch als alles andere war das unangemessene Ihnen über ihre Lippen gekommen, doch taten die unterwürfigen Worte im Unterschied zu den Hieben wenigstens nicht weh.
Das anmaßende Lächeln vertiefte sich. „Das nächste Mal bitte keine Pause vor der Anrede. Ansonsten scheinst du allmählich zu begreifen. — Komm, gehen wir woanders hin, wo niemand uns stören wird.“ Carolin durfte sich erheben und wurde an der Leine weiter vom Haus weg geführt. Der Weg beschrieb einen Bogen um hohe Rhododendren und sie gelangten zu einem Gartenhaus, das sich in den Schatten eines Ginkgos duckte. Bunte Schmetterlinge umflatterten einen blauviolett blühenden Sommerflieder, Bienen summten umher und Vögel zwitscherten träge durcheinander, vom Treiben der Menschen unberührt. Von der nahen Stadt war nichts zu spüren, es war, als sei dieser Ort hier Raum und Zeit entrückt.
„Eigentlich habe ich mir einen Mann gewünscht“, sagte das Mädchen und öffnete die Tür des Häuschens. „Aber meine Mama sagte, dass das pervers sei und ich am Anfang mal mit einer Frau üben solle.“
Tja, wenn die Mama das sagte … Carolin, die ihr von Herzen gern ein anderes Übungsobjekt gegönnt hätte, folgte ihr schweigend ins Zwielicht eines großen, wohnlich eingerichteten Raums. Das Mädchen ließ den Schulranzen vom Rücken gleiten, stellte ihn auf dem Parkettboden ab und sank in einen der beiden blauen Sessel. Sie nahm die Leine wieder zur Hand und betrachtete sich Carolin sinnierend. „Meine Mama sagt, dass es einen Mann gibt, vor dem du kuschst. Warum tust du das? Weil er dich schlägt?“
Leise schüttelte Carolin den Kopf, nicht bereit, über ihre Beziehung zu Simon zu reden, die dieses Kind ja sowieso nicht würde begreifen können.
Die Kleine aber griff nach dem Stock, der am Sessel lehnte, und drohend klang ihre Stimme. „Dreh dich um!“ Zorn wallte in Carolin auf gegen dieses elende Luder, das wohl glaubte, sich alles erlauben zu können. Die Augen des Mädchens verengten sich. „Ich kann auch aufstehen, aber dann bekommst du richtig Hiebe.“ Oh. Wie ein Streichholz im Wind war Carolins Zorn schon wieder verloschen und einer bangen Furcht gewichen. Zaudernd drehte sie sich halb im Kreis, wobei sich die Leine um den linken Oberarm straffte — hart traf der Stock ihren Hintern, gleich noch ein zweites und ein drittes Mal. Die Stimme des Mädchens mischte sich in ihr gepeinigtes Schluchzen. „Sagst du mir jetzt, weshalb du vor ihm kuschst?“
„Na ja, weil das Kuschen, wie du … wie Sie es nennen, schöne Gefühle schenkt. Aber nur dann, wenn es auch Liebe gibt. Ohne seine Liebe würde ich nicht bei ihm bleiben.“ Keuchend sprach sie ihre Worte in die Leere des Raumes hinein, den das doch auch nicht interessierte.
„Meine Mama sagt, dass Menschen nur kuschen, wenn man sie hart an die Kandare nimmt.“
Vorsichtig versuchte Carolin ihre Worte abzuwägen. „Ihre Mama hat ihre eigene Sicht der Dinge. Andere würden sagen, dass man von Menschen dann am meisten bekommt, wenn man freundlich zu ihnen ist.“ Wieder zwei Hiebe! Selbst schuld. Warum musste sie auch das aussprechen, was sie für die Wahrheit hielt, anstatt einfach nur Ja und Amen zu sagen?
Sie durfte sich wieder umdrehen, was die Hoffnung nährte, weiteren Hieben vorerst zumindest zu entgehen, sah das Zeichen des kindlichen Fingers und kniete ohne Zögern nieder auf dem Holzboden, der zwar hart war, aber doch weniger schmerzhaft als die Kieselsteine. Gerne hätte sie den brennenden Hintern gerieben. Ein Anflug von Unsicherheit verwischte plötzlich das hochmütige Lächeln des Mädchens. „Ich stelle es mir eklig vor, aber eine meiner Freundinnen schwärmt davon … Küss mich! Da unten …“ Sie stemmte sich vom Sessel hoch, streifte ihren weißen Slip ab, ohne die Gerte aus der Hand zu geben, und lehnte sich in etwa so entspannt zurück wie im Gynäkologenstuhl.
Die Leine straffte sich und zog Carolin
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