Caroline
sie keinen Computer.«
»Doch, sie besitzt ein iBook, eine Art Laptop. Es ist fast dasselbe wie dein Macintosh, aber kleiner, und man kann es überallhin mitnehmen.«
»Hatte sie es auf Porquerolles bei sich?«
»Ja, in ihrem Zimmer. Sie hat mir die Passage über dich vom Bildschirm vorgelesen und wir haben unsere E-Mail-Adressen ausgetauscht.«
Ich nickte. »Die Frage ist, ob sie aus freien Stücken weggegangen ist.«
Nel zuckte mit den Schultern und ging zu einem Wandschrank. Wenn wir die Antwort auf diese Frage gewusst hätten, wären wir schon ein Stück weiter gewesen.
»Hast du dir das Badezimmer angeschaut?«, fragte ich.
»Ja, und ich habe weder eine Zahnbürste noch eine angebrochene Zahnpastatube gefunden.«
»Falls die Putzfrau die Sachen nicht jede Woche wegwirft, hat sie die also auch mitgenommen. Das sieht nach freiem Willen aus, stimmt’s?«
»Alles sieht nach freiem Willen aus«, sagte Nel. »Und nach böser Absicht und der Vorspiegelung falscher Tatsachen. Ich kann nicht klar denken. Vielleicht ist die Atmosphäre hier nur so merkwürdig, weil dieses Kind keine normale Familie hat, keine normale Mutter. Die Kleidungsstücke sagen mir nichts, ich habe sie mir schon angeschaut. Aber was schließen wir daraus, dass sie ihre Zahnbürste und eine Reisetasche mitgenommen hat? Die Frage ist doch, wohin sie wollte. An einen sicheren oder an einen unsicheren Ort?«
»Jetzt mach dir doch nicht solche Sorgen.«
»Sie hat viele Bücher.« Nel schloss den Schrank und ging zu der Wand mit dem von Büchern umgebenen offenen Kamin hinüber. »Viele Autobiografien von Frauen, Gillian Slovo, Dorothy Gallagher, Allegra Goodman … Ich kann mir vorstellen, dass dieses Genre sie anspricht.«
Ich setzte mich auf den Drehstuhl an Carolines Schreibtisch und zog die Schubladen auf. Briefpapier mit passenden Umschlägen, wie man es gelegentlich geschenkt bekommt. Kugelschreiber und Bleistifte. Eine kleine Schachtel mit Briefmarken. Eine Schublade voller Lektionen eines Fernkurses mit dem Titel Kurzgeschichten schreiben. Büroklammern. Kontoauszüge. Ein kleines Fernglas. In der untersten Schublade ein USB-Diskettenlaufwerk, aber keine Spur von Disketten. Einige Fotos von Valerie, ziemlich versteckt, vielleicht weil Caroline sie nicht anschauen konnte, ohne an den himmelweiten Unterschied zwischen sich und ihrer Mutter erinnert zu werden. Ich wedelte mit den Kontoauszügen. »Hast du die gesehen?«
Sie drehte sich um. »Ja, sie hat an die zwölfhundert Euro auf dem Konto.«
»Kannst du überprüfen, ob Geld abgehoben wurde?«
Nel nickte. »Nimm einfach den letzten Auszug mit, sie hat ihr Konto bei der ABN und da sitzt Eddy an der Quelle. Er kann es sicher arrangieren, dass wir benachrichtigt werden, sobald sie irgendwo Geld abhebt oder etwas mit Karte bezahlt.«
Ich nahm den obersten Stapel der Kurslektionen zur Hand. Ganz vorne steckte ein kurzer Brief zwischen den Seiten, einige handgeschriebene Zeilen, die mit Deborah unterzeichnet waren.
»Wusstest du, dass Caroline an einem Schreibkurs teilnahm?«
»Ja, ich habe die Aufgabenblätter gesehen.«
»Und dass sie mittendrin damit aufgehört hat?«
Nel hob den Blick. »Wie meinst du das?«
Ich hielt den Brief hoch. »Von Deborah, meiner Meinung nach eine Dozentin. Sie findet es jammerschade, dass Caroline anscheinend aus heiterem Himmel beschlossen hat, aufzuhören.«
»Die verlieren eben nicht gerne Teilnehmer.«
Ich schüttelte den Kopf. »Von hundert Leuten, die mit so einem Kurs anfangen, gibt die Hälfte zwischendurch auf, deshalb sind die Veranstalter so schlau, die Kursgebühren im Voraus zu kassieren. Ich glaube, dass diese Deborah es wirklich ernst gemeint hat. Ich kann dich nicht gehen lassen, ohne dir mitzuteilen, wie schade ich es finde, dass du aufhörst. Ich muss deinen Entschluss respektieren, auch wenn ich ihn nicht nachvollziehen kann. Ich hätte gerne versucht, deine Geschichten irgendwo unterzubringen. Ich weiß, dass du keine hohe Meinung von dir hast, aber ich sage dir hiermit noch einmal, dass du Talent hast, mehr als die meisten anderen Kursteilnehmer, und dass es eine Todsünde ist, es zu vernachlässigen.«
Ich legte den Brief zurück in die dünne Broschüre, faltete sie einmal längs in der Mitte zusammen und steckte sie zu dem Kontoauszug in die Innentasche meiner Jacke. »Das Komische ist, dass hier nirgendwo etwas von ihren Kurzgeschichten zu finden ist, nur ein paar Aufgaben und dieser Brief«, sagte ich.
»Wahrscheinlich
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