Caroline
druckt sie sie aus und schickt sie per Post weg oder versendet sie per E-Mail«, vermutete Nel.
»Soweit ich weiß, müssen die Teilnehmer solcher Kurse ihre Arbeiten mit der Post einschicken. Darauf deutet auch der Brief hin. Aber ich sehe hier nur Lektionen und Aufgabenvordrucke. Wo sind Carolines Arbeiten?«
Nel nickte. »Es gibt überhaupt nichts Schriftliches von ihr.«
Sie schaute sich in dem Dachstudio um, als versteckten sich die Antworten in vergessenen Ecken oder zwischen den Dachbalken. »Ich weiß, dass sie ihre Handschrift furchtbar findet«, erinnerte sich Nel. »Ich durfte sie noch nicht einmal angucken.« Sie runzelte die Stirn, ging zum Kamin, hockte sich davor und öffnete die Glastür. Ich sah, wie sich ihr Rücken straffte, als sie hineinfasste und etwas herausholte. »Ich glaube, ich weiß, wie sie es macht. Wenn sie ein Notizbuch voll geschrieben hat, gibt sie die Texte in den Computer ein und vernichtet die handschriftliche Vorlage. Vielleicht macht sie es nicht immer so, aber das hier war jedenfalls das graue Notizbuch, das sie auf Porquerolles dabeihatte.«
Ich ging zu ihr hin und starrte die verbrannten und geschmolzenen Überreste des grauen Kunststoffeinbands an. Offenbar war noch mehr Papier verbrannt worden, denn der Kamin war voll mit schwarz verkohlten Überresten. Es sah aus, als hätte jemand eilig Dokumente vernichtet, bevor der Feind die Stadt erobert. Wir brauchten also nicht mit schriftlichen Hinweisen zu rechnen. Die Frage blieb jedoch, ob Caroline aus Gewohnheit alles verbrannt hatte oder weil sie oder jemand anderes keine Spuren hinterlassen wollte.
Nel schien sich dasselbe zu fragen, denn sie legte das Stück Einband zurück und schloss die Tür des Kamins. »Wir sollten hier lieber nichts anfassen«, sagte sie. »Man weiß nie, vielleicht kann das Labor hiermit noch Wunder bewirken.«
»Okay.«
Nel wischte sich die Asche von den Fingern. »Sind wir fertig? Ich will hier raus.«
»Okay«, wiederholte ich. »Nehmen wir den Auftrag an?«
Nel nickte. »Caroline hat zwar keine enge Beziehung zu ihrer Mutter, aber sie ist ein besonderer Mensch und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie freiwillig einfach so verschwinden würde ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Irgendetwas stimmt hier nicht.«
Ich vertraute Nels Menschenkenntnis. »Es gibt keine Lösegeldforderung und dafür wäre genügend Zeit gewesen.«
»Vielleicht geht es um eine andere Art Lösegeld.«
»Du meinst Sex? Dann hätte man aber besser die Mutter entführt.«
Nel machte ein gekränktes Gesicht. »Im Moment kann ich Witze über Caroline wirklich nicht gut vertragen.«
Ich schaute ihr fest in die Augen. »Das liegt daran, dass du dich schuldig fühlst, und damit solltest du schleunigst aufhören, denn sonst ziehe ich dich von diesem Fall ab, noch bevor du damit angefangen hast. Schließlich bin ich der Chef.«
»Du kannst mich aber nicht entbehren.«
Natürlich hatte sie Recht.
3
Auch hier konnte man nicht mehr so einfach hineinspazieren. Man drückte auf einen Klingelknopf, schaute durch Panzerglas und wurde von einer Dame in Uniform gemustert. Sie drückte auf einen Knopf. Mit einem Klicken sprang eine hermetisch geschlossene Tür auf. Nichts da mit herzlich willkommen bei der Polizei, deinem Freund und Helfer, und wie geht’s uns denn heute so auf der Hilversumer Wache.
»Guten Tag. Mein Name ist Max Winter. Ich würde gerne Meneer Nijman sprechen. Ist er im Haus?«
Die Uniformdame trug die höchsten Rangabzeichen. Da man mit schlechten Augen bei der Polizei von vornherein keine Karrierechancen hat, musste die Brille, ebenso wie ihr graues Haar, eine Folge des Alters sein und nicht das Resultat anstrengender Gehirnakrobatik beim Enträtseln verzwickter Komplotte oder der Suche nach Haaren und verlorenen Knöpfen von Mördern. Sie saß mit Formularen, einer Strickarbeit und einem Telefon hinter einer zweiten Schutzwand aus kugelsicherem Glas zwischen kühlen eierschalfarbenen Wänden. Ein älteres Ehepaar wartete auf einer Lattenholzbank an der Seitenwand geduldig auf das Ende der Welt.
»Haben Sie einen Termin?«, fragte sie.
Für die hiesigen Kripobeamten gab es anscheinend Wartelisten wie für bedeutende Gehirnchirurgen. »Brauche ich denn einen?«
Die ranghohe, in die Jahre gekommene Beamtin seufzte. »Worum geht es?«
»Um eine vermisste Person.«
Sie griff in die Ablage mit den Formularen. »Wollen Sie eine Vermisstenanzeige aufgeben?«
Ich verlor nicht die Geduld. »Nein,
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