Caroline
beiden Tore stand offen; der Platz dahinter war leer. Die Sonne schien und die Villa reflektierte die Wärme. Auf der Steinbrüstung vor dem Treppenpodest blühten Geranien in Kästen, doch ansonsten war der Garten naturbelassen, eine offene Fläche, auf der zwischen Buchen, Eichen und Wacholdersträuchern Waldgräser und verwilderte Nachtkerzen wuchsen. Ein Eichelhäher lärmte in einer Buche. Überall duftete es nach Wald, gesunder Luft und stillem Glück.
Nel nahm meine Hand und sagte: »Ich habe ihm eine E-Mail geschickt.«
»Und, hat er darauf geantwortet?«
Sie schüttelte den Kopf. »War nur ein Versuch auf gut Glück.«
»Vielleicht sitzt er nicht jeden Tag am Computer.«
Nel nickte. »Kann sein, wir wissen ja überhaupt nichts von ihm.«
Die bleiverglaste Eingangstür ging auf und eine Frau, deren Haar im Sonnenlicht hennarot schimmerte, erschien mit fragendem Gesichtsausdruck hinter den Geranien auf dem Treppenabsatz. »Kommen Sie von der Versicherung?«
Wir gingen auf die Eingangstreppe zu. »Nein, Mevrouw«, sagte ich. »Mein Name ist Max Winter und das hier ist meine Kollegin Nel van Doorn …«
Sie unterbrach mich nervös. »Ach, dann werden die sicher gleich kommen. Sie hätten längst hier sein müssen.«
»Es ist viel Verkehr auf den Straßen«, sagte ich. »Wir möchten gern zu Meneer Dolf Romein. Sind Sie Mevrouw Romein?«
»Mein Mann ist noch nicht zu Hause, aber bestimmt ist er schon unterwegs.«
Die Frau machte einen angespannten Eindruck und es fiel allmählich auf, wie sie ständig wiederholte, dass sie Leute von der Versicherung erwarte und ihr Mann bald käme. Die Brüstung wirkte fast schon wie eine Festungsmauer. Ich zog meinen Meulendijk-Ausweis hervor und reichte ihn ihr durch die Geranien hindurch.
Sie studierte ihn und schien ein wenig beruhigt. Nel sagte: »Valerie Romein hat uns mit der Suche nach ihrer Tochter Caroline beauftragt.«
»Ach ja?«
»Wir können es sehr gut verstehen, dass Sie Fremden gegenüber vorsichtig sind«, fuhr Nel fort. »Falls Ihnen das lieber ist, kommen wir gerne später noch einmal wieder, wenn Ihr Mann zu Hause ist.«
»Er ist in der Schule …« Sie fing leise an zu lachen, als käme ihr ihr eigenes Verhalten mit einem Mal lächerlich vor. »Ach was, Unsinn, kommen Sie doch herein. Ich bin nur ein bisschen paranoid, weil bei einigen unserer Nachbarn Einbrecher eingedrungen sind, die sich für Mitarbeiter des Katasteramtes ausgegeben haben. Die versuchen erst herauszufinden, ob eine Frau allein zu Hause ist … Na ja.«
»Wenn irgendwo eingebrochen wurde, fühlt sich oft die ganze Nachbarschaft verunsichert«, sagte Nel verständnisvoll. »Das ist ein schlimmer Nebeneffekt, über den sich kaum jemand Gedanken macht.«
Die Frau ging um die Geranien herum und kam die Steinstufen herunter. »Sie haben Recht. Deshalb habe ich das mit den Leuten von der Versicherung gesagt, dazu hat Dolf mir geraten, wenn ich allein zu Hause bin. Wenn die hören, dass jemand unterwegs ist, überlegen sie es sich vielleicht noch einmal anders. Am liebsten hätte mein Mann, dass ich die Tür gar nicht mehr öffne und nur durch eine Luke spreche, aber das geht mir zu weit. In einem Land, wo man zu so etwas gezwungen ist, möchte ich nicht leben.«
Sie lächelte. Sie hatte ein freundliches Gesicht mit bernsteinfarbenen Augen. Sie musste etwa Mitte vierzig sein, und das Henna benutzte sie vermutlich, um graue Strähnen abzudecken. Sie reichte uns die Hand. »Ich bin Martine Romein. Dolf ist am Corderius.« Sie bemerkte mein Stirnrunzeln. »Am Corderiuslyzeum in Amersfoort. Er ist Englischlehrer.«
»Hat die Schule denn schon angefangen?«, fragte Nel.
»Nein, aber er hat ein paar Konferenzen.« Die Frau schaute auf die Uhr und sagte dann mit plötzlicher Entschlossenheit: »In einer halben Stunde kommt er nach Hause. Sie können sich solange in den Garten setzen, bei dem herrlichen Wetter. Ich mache uns einen Kaffee.«
Wir folgten ihr durch einen hellen Flur und eine Wohnküche und traten durch die offenen Terrassentüren hinaus auf einen weinüberrankten Patio mit Esstisch. Ein paar Meter weiter standen unter dem kreisrunden Schatten eines orangefarbenen Sonnenschirms Gartenmöbel auf der Wiese.
»Ein wunderschönes Haus«, sagte Nel. »Aber ist es nicht ziemlich groß für einen Lehrer?«
Martine Romein lächelte und lud uns ein, auf den Gartenstühlen Platz zu nehmen. »Sie sind eine der wenigen, die das nicht nur denkt, sondern auch ausspricht. Dolfs
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