Caroline
Prüfungsstress und so weiter zurück. Ich selbst habe sie zu einem Schwangerschaftstest bei einem Arzt in Assen gebracht. Das Ergebnis war positiv.«
»Aber sie war nicht von Ihnen schwanger?«, fragte ich noch einmal. »Wie lange hatten Sie denn schon ein Verhältnis mit ihr?«
»Nicht, als sie noch zur Schule ging. Wir kamen erst danach zusammen und einen Monat später haben wir geheiratet. Es konnte also schon zeitlich gesehen nicht von mir sein, aber auch aus anderen Gründen.« Er schwieg eine Weile und bekannte dann: »Die Wahrheit ist, dass es mich nicht störte, dass sie schwanger war, im Gegenteil. Ich war ein halbes Jahr zuvor von meiner früheren Frau geschieden worden, und die Gründe für unsere Trennung waren, dass ich keine Kinder zeugen konnte und meine Frau von einer Adoption nichts wissen wollte. Künstliche Befruchtung war damals noch nicht so an der Tagesordnung. Es war also im Grunde ganz einfach. Ich verliebte mich in Valerie, sie war schwanger, und ich dachte: Auf diese Weise bekomme ich doch noch eine Familie.«
Was er kriegte, waren Karel und eine Frau, die lieber vor der Kamera stand und über die Laufstege stolzierte, als mit einem Kind und einem Lehrergatten zu Hause sitzen zu bleiben.
»Und Caroline?«, fragte Nel. »Hat sie irgendetwas davon gesagt, wo sie hinging oder was sie vorhatte?«
»Nein.« Romein schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Sie fing an zu weinen. Es war im Grunde ziemlich traurig. Ich wollte sie zur Bushaltestelle bringen, aber schon am Tor sagte sie, dass sie mich nicht mehr brauche. Sie sei hierher gekommen, um ihrem Vater etwas Besonderes zu erzählen, aber da ich nicht ihr Vater sei, ginge es mich auch nichts an.«
Ich hob den Blick. »Etwas Besonderes?«
»Ja, ich weiß wirklich nicht was, aber sie wirkte sehr einsam und sie tat mir Leid.«
»Ach du grüne Neune«, sagte Nel, als wir aus der Allee hinausfuhren.
»Was denn?«
»Das mit Caroline.«
»Ja. Wir können also davon ausgehen, dass sie auf der Suche nach ihrem Vater ist.«
Nel nickte. »Du musst hier links abbiegen.«
Ich stoppte das Auto und schaute sie an.
»Ich verstehe diese Leute nicht«, sagte Nel. »Am liebsten würde ich Valerie so an die fünf Minuten lang würgen. So was kann man doch nicht machen. Eine Tochter haben und sich neunzehn Jahre lang so verhalten, als wolle man sie eigentlich gar nicht. Sie denkt: Er ist mein Vater, warum mag er mich nicht? Weil ich so hässlich bin? Schämt er sich für mich? Und dann teilt er ihr aus heiterem Himmel mit, dass er gar nicht ihr Vater ist. Die ist reif für den Psychiater. Man hätte es ihr als Kind sagen müssen, nur dann hätte sie eine Chance gehabt, es zu verstehen und zu akzeptieren.«
Nel biss sich auf die Lippen und starrte durch die Windschutzscheibe nach draußen, ohne dass sie etwas von den Bäumen, Fahrradfahrern, den Müttern mit modischen Kinderwagen oder dem sommerlichen Leusden sah. »Worauf wartest du?«, fragte sie schließlich, ohne mich anzuschauen.
»Warum sollte ich links abbiegen?«
»Fahr auf den Ring um Amersfoort herum bis zum Kreuz Hoevelaken und von da aus auf die Schnellstraße in Richtung Zwolle.«
Ich legte ihr meine Hand auf den Arm und wiederholte noch einmal: »Nel, das ist nicht gut. Ich ziehe dich von dem Fall ab, wenn er dich zu sehr belastet.«
CyberNel nickte. Sie war von meiner leeren Drohung nicht sonderlich beeindruckt, aber sie wusste, dass ich Recht hatte. »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist«, gestand sie geknickt. »Ich werde mir Mühe geben und ich bleibe dabei. Das ist mein Fall.«
4
Ein Drache aus achthundert Kilo gehämmertem Stahl und Gusseisen, mit schlagenden Fledermausflügeln und dem Kopf einer monströsen Eidechse, spie seinen heißen Atem voll Feuer und Schwefel in Richtung der alten romanischen Kirche auf dem Dorfplatz von Norg. Er war in fünf Metern Höhe in einen zu engen Käfig eingesperrt, die armdicken Stäbe mit Krallen und Schwanz umklammert, eine frustrierte Chimäre. Ein alter Mann stand mit zurückgelegtem Kopf davor und starrte ihn an wie in Trance.
»Guten Tag«, sagte ich. »Können Sie uns sagen, wie wir zum Grootveenweg kommen?«
Ich spürte, wie Nel neben mir beim Anblick des Monsters erstarrte. »Du liebe Güte.«
Der Mann schaute mich mit ausdruckslosen Augen an. »Was will dieses Vieh nur?«
Ich entzifferte die schwer leserlichen, in Bronze gravierten Buchstaben. Wessel de Ruijter, Edging the Boundary. »Ich glaube, er will
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