Caroline
seit etwa einer Stunde tot. Ich war als Erster am Tatort, zusammen mit einem Kollegen von der Kripo und zwei Streifenbeamten. Wir haben Tons abgeführt, die Spurensicherung angerufen, den Staatsanwalt in Kenntnis gesetzt und mit den Vernehmungen begonnen. Die Leiche wurde obduziert, aber dass sie vergewaltigt und erwürgt worden war, war von vornherein klar.«
»War Tons vorbestraft?«, fragte Nel.
»Er war einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, als er sich vor dem Fenster eines fünfzehnjährigen Mädchen selbst befriedigte.«
Ich dachte an das Auge im Dreieck mit der Ermahnung GOTT SIEHT DICH, das mir über Bertus’ Bett in seinem Wohnwagen aufgefallen war. Irgendjemand musste ihm das später eingebläut haben. »Wann war das?«
»Zwei Jahre, bevor er anfing im Heim zu arbeiten, als er noch bei seiner Mutter in Ter Aard wohnte. Er schaffte mit knapper Not die Volksschule und hatte danach verschiedene kleine Jobs, als Tankwart und bei Gärtnereien. Als seine Mutter starb, erhielt er die Möglichkeit, als Gärtner und Mädchen für alles beim Roekenhof anzufangen, die haben dort eine Art Kinderbauernhof. Dort konnte er auch wohnen.«
»War seine frühere Verurteilung kein Hinderungsgrund?«, fragte ich erstaunt.
»Meiner Meinung nach hat der Dorfpolizist die Sache ein bisschen unter den Teppich gekehrt. So läuft das auf dem Dorf. Wir kamen erst dahinter, als wir seine Vergangenheit durchkämmten.«
»Hast du ihn im Präsidium vernommen?«
»Ja. Aber es war kein vernünftiges Wort aus ihm rauszukriegen. Er war sowieso schon nicht der Hellste und befand sich zudem in einer Art Schockzustand. Er jammerte die ganze Zeit, es sei alles seine Schuld und er habe gesündigt.«
Wieder die Geschichte mit der Sünde. »Und die Gerichtsverhandlung?«
»Die ähnelte eher einer Anhörung, niemand wollte Staub aufwirbeln, vor allem das Heim nicht, und der Fall wurde rasch abgeschlossen. Natürlich war die Presse dabei, die Regionalzeitung hat mich damals sogar interviewt.« Er hatte den Artikel bereitgelegt. Das Foto darauf zeigte ihn als sechzehn Jahre jüngeren Kripobeamten.
Ich schaute mir den Ausschnitt freundlich nickend an, ohne ihn selbst in die Hand zu nehmen. »Wer hat alles als Zeuge ausgesagt?«
»Der Psychiater und der Pfarrer und ich, weil ich der Erste am Tatort war. Ich habe beschrieben, was ich vorgefunden hatte. Der Pflichtverteidiger versuchte Tons für unzurechnungsfähig erklären zu lassen, aber es gelang ihm nicht. Dem Psychiater zufolge war Tons zwar nicht besonders intelligent, aber auch nicht verrückt.«
»Hat er damals gestanden?«, fragte Nel.
Asveld warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. »Er rief die ganze Zeit, dass er gesündigt habe und alles seine Schuld sei. Zusammen mit den Anschuldigungen, die vor Gericht gegen ihn vorgetragen wurden, war das mehr als ausreichend. Als sie ihn am Ende fragten, ob er noch etwas hinzuzufügen habe, sagte er, dass er Denise viel zu sehr geliebt habe und nun für seine Sünden büßen müsse. Er wurde zu fünfzehn Jahren Sicherungsverwahrung verurteilt, davon zehn Jahre im Gefängnis und fünf unter strenger Aufsicht.«
»Hast du später verfolgt, was aus ihm wurde?«
»Ja.« Asveld schwieg einen Augenblick. »Bertus war ein mustergültiger Häftling, das muss man ihm lassen. Vielleicht bereute er die Tat wirklich oder hatte seine Lektion gelernt. Auch während seiner Zeit im offenen Vollzug hörte man nichts als Positives. Zurzeit wohnt er bei einem Bauernehepaar in Schipborg.«
Ich warf Nel einen Blick zu und schüttelte leicht den Kopf. Es war ein Glücksfall, dass ihm an seinem Arbeitsplatz noch nichts von Bertus’ Verschwinden und der Jagd auf Max Winter zu Ohren gekommen war, und mir war daran gelegen, an der Geschichte mit den Ermittlungen für die Dachorganisation nicht zu rütteln.
»Aber es gab doch bestimmt auch Zeugen vom Roekenhof?«, fragte Nel verwundert.
»Die Direktorin hatte nur wenig zu sagen, außer dass die Aufsicht über die Bewohner und die Überprüfung der Mitarbeiter verbessert werden müssten, und eine Betreuerin hatte Denise um halb drei aus dem Pavillon hinausgehen sehen. Und dann natürlich dieser Heimpfarrer. Er kannte Bertus gut und fühlte sich persönlich verantwortlich.«
»Warum?«
»Das war noch so einer vom alten Schlag, der andauernd von Hölle und Verdammnis redete. Er wusste schon lange, dass Bertus nach den Mädchen schielte und versuchte sie zu begrapschen, wenn sie im Gemüsegarten waren oder sich
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