Caroline
Schlafzimmer? Karen? Klingt ja wie ein Jungmädchenroman.«
»Klingt nach überhaupt nichts«, sagte Nel. »Ihr fällt noch nicht mal ein Titel ein und meiner Meinung nach weiß sie auch nicht, wie sich ihre Geschichte weiterentwickeln soll oder worum es bei dem Streit zwischen ihren Romanfiguren geht. Sie steckt fest.« Nel las ein paar Zeilen vor. »Karen weigerte sich, aus dem Bett aufzustehen, solange der Regen an das Fenster ihres luxuriösen Schlafzimmers prasselte. Noch nie zuvor hatte sie einen so schrecklichen Streit mit ihrer Mutter gehabt. Sie wusste, dass sie eine Entscheidung treffen musste. Sie musste das Haus verlassen.« Nel schnaubte. »Sie versucht, den schnörkellosen Stil Carolines zu imitieren. Aber bei Caroline fließt der Text nur so dahin, während diese Frau überhaupt nicht schreiben kann.«
»Aber Gert Monnik hat erzählt, dass sie schon seit Jahren verkündet, bald ein Buch herauszubringen. War das vielleicht ein ganz früher Versuch?«
Nel öffnete erneut Sherlock und überprüfte das Dokument. Sie schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich weiß nicht, woran sie vorher gearbeitet hat, aber hiermit hat sie am 24. August angefangen und seitdem noch viermal versucht daran zu arbeiten, das letzte Mal am 29. September abends um Viertel vor zwölf.«
»Wenn sie mit eineinhalb Seiten pro Monat so weitermacht, wird die niederländische Literaturszene noch ein Weilchen auf Roman Nummer zwei warten müssen.«
»Ja, schade aber auch«, antwortete Nel lakonisch, zog das Kabel des Diskettenlaufwerks aus der USB-Schnittstelle und schaltete den Computer aus. »Komm, lass uns den Rest erledigen.«
»Es gibt keinen Rest«, entgegnete ich. »Unten ist nichts, oben ist nichts. Wenn es etwas gibt, dann ist es hier in ihrem Arbeitszimmer.«
»Ein Tresor?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn sie einen hätte, würde sie ihre Akten und Policen darin aufbewahren anstatt in dieser Bankmappe. Sie hätte sie allerdings auch in den Container legen können, der ist bleischwer und abgeschlossen genauso sicher wie ein handelsüblicher Tresor.« Stirnrunzelnd blickte ich den Schubladencontainer unter dem Schreibtisch an.
»Wie bitte?«, fragte Nel. Sie hing nach vorne gebeugt auf ihrem Stuhl und sagte: »Dahinter ist doch noch Platz.«
Ich rollte Nel auf ihrem Stuhl aus dem Weg und ging auf die Knie. Unter dem Schreibtisch lag ein verschlissenes Fußkissen, die Stromkabel von Computer, Drucker und Bürolampe führten um den Metallcontainer herum zu einer Verteilersteckdose auf dem Fußboden dahinter. Das Stromkabel der Verteilersteckdose verlief parallel zum Telefonkabel bis zu einer Steckdose hinter der untersten Bücherreihe. Bei dem Schubladencontainer handelte es sich um ein solides Gispen-Modell auf Rollen, das zwei Personen kaum hätten anheben können. Dort, wo die Kabel entlangführten, waren fünfzehn bis zwanzig Zentimeter Platz.
Ich zog den Container ein Stück nach vorn und tastete dahinter herum. Meine Hand berührte ein glattes Rechteck, das an der hinteren Schreibtischwand lehnte. Nel rutschte von ihrem Stuhl und hockte sich hinter mich. Ich zog einen kleinen grauen Koffer hervor. Man hätte Staubflusen erwartet, doch er war sauber und glänzend.
»KISS«, flüsterte Nel.
»Was heißt das, KISS?«
»Das ist eines der beiden Computermantras. Keep it simple, stupid. Vielleicht hat Hetty auch so gedacht. Kein Mensch schaut je hinter den Container.«
»Ist das Carolines iBook?«
»Das werden wir gleich herausfinden. Hetty bewahrt es unter ihrem Schreibtisch auf, weil sie es hier direkt an die Telefonsteckdose anschließen kann. Und ich glaube, ich weiß warum.«
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es war halb drei. Wir befanden uns schon seit über zwei Stunden in diesem Haus und mussten weg sein, bevor Eemnes erwachte. Wir brauchten viel zu lange. Wenn wir Pech hatten, wurden die Hunde hier mitten in der Nacht ausgeführt. »Wir können den Laptop nicht mitnehmen«, sagte ich. »Wenn wir ihn je als Beweisstück verwenden wollen, muss die Polizei ihn selbst entdecken.«
Nel nickte. »Ich hatte auch nicht vor, ihn mitzunehmen. Nicht, solange wir nicht wissen, was wir als Nächstes unternehmen.« Nel schob Hettys Tastatur und andere Gegenstände beiseite, legte Carolines Laptop auf den Schreibtisch und steckte den Stecker in die Verteilersteckdose auf dem Fußboden. Sie startete den Laptop, schaute sich Ordner an, öffnete und schloss ein paar. Es waren nicht viele und sie fand schnell heraus, dass
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