Caroline
kommen.«
»Die meisten Leute schreiben es sich doch irgendwo auf?«
»Ja, irgendwo«, erwiderte sie ironisch. »Schau dich doch bloß mal hier um. Bestimmt kommt unsere Ehrenamtliche um elf Uhr wieder nach Hause, aber selbst wenn sie erst um zwölf Uhr kommt …« Sie seufzte. »Erst diese blöde Tastatur, und jetzt das.«
Sie bearbeitete weiter die Tastatur und ich fing an herumzuschnüffeln. Es war zehn Uhr. Im Haus herrschte eine gemütliche Unordnung; hier wohnte ein Ehepaar, das sich gut verstand, seine Sprösslinge liebte und offensichtlich auch etwas von Kindern verstand. Ich schob die Falttür zum Wohnzimmer auf und sah eine abgewohnte Holzessecke mit durchgesessenen Kissen auf den Bänken, Kinderbücher, mit Reißzwecken an die Wände geheftete Kinderzeichnungen, eine Komposition aus Trockenblumen, ’Zum, Muttertag, ein Klavier mit Notenstapeln darauf. Türen zum Garten, in dem ein kleiner Schuppen stand. Sträucher, Blumentöpfe, ein Vogelhäuschen, ein Holzzaun.
Modelleisenbahnschienen in Form einer Acht mitsamt Güterzug und kleinem Bahnhof, montiert auf einer quadratischen Hartfaserplatte auf dem Fußboden und rundherum dekoriert mit Holzklötzchen und dürren Fichtenzweigen, erinnerten mich plötzlich an die Geschichten meines Vaters aus seiner Jugend.
Heutzutage werden die Kinder unter einem Sammelsurium an laufenden Godzillas, Dinosauriern, sprechenden Babypuppen in Lebensgröße, Hubschraubern, Panzern, Saxofonen und Modelleisenbahnen in allen Größen und schreienden Farben förmlich begraben. Der Einzige, der damit Geld verdient, ist der Spielzeugfabrikant. Die Verlierer sind die Kinder, die fünf Minuten lang auf ihrem neuen Spielzeugflügel herumhämmern und das Ding anschließend vergessen, weil es zu nichts passt und ihre Fantasie nicht anregt. Das Feuerwehrauto von Onkel Piet passt nicht in die Werkstatt von Onkel Kees und der Zug von Tante Jet ist noch nicht mal mit einer Sturmramme durch den Tunnel vom Nikolaus zu kriegen. Nichts passt. Nichts gehört zueinander. Ein Kind braucht Sicherheit. Sicherheit bedeutet Ausgeglichenheit, eine Welt von Dingen und Menschen, die zueinander gehören. Der kunterbunte Quatsch, mit dem sein Zimmer gefüllt wird, frustriert sein natürliches Bedürfnis nach Harmonie und erstickt seine kreativen Fähigkeiten im Keim.
»Was ist denn?«, fragte Nel. »Ich höre dich gar nicht mehr.«
Sie hatte sich neben mich gestellt, ohne dass ich es bemerkt hatte. Ich zeigte auf das Dorf neben der Eisenbahn. »Das hat mich an meinen Vater erinnert.«
»Na ja, ist ja auch der passende Moment«, meinte sie ironisch.
»Er wurde als kleiner Junge für ein Jahr auf einem Bauernhof untergebracht, damals in der schlechten Zeit, und Spielzeug war so ungefähr das Letzte, wofür die Eltern Geld übrig hatten. Deshalb sammelte er Klötze aus Abfallholz, Koniferenzweige und Reste von diesem und jenem, fegte eine Hofecke sauber und beschäftigte sich wochenlang mit dem Bau seiner eigenen Stadt, mit Unterführungen, Straßen, Grünanlagen und einer Sternwarte. Auf dem Dach hatte er ein Stückchen Spiegelglas angebracht, das bei einem bestimmten Sonnenstand ein gleißendes Lichtsignal in den Weltraum sandte, zu den Bewohnern anderer Planeten. Und wenn ein Gewitter seine Stadt wegspülte oder ein durchgegangenes Pferd sie kaputttrampelte, fing er wieder von vorne an und seine Stadt bekam einen Fluss und einen Viehmarkt und eine noch höhere Sternwarte.«
»Damals gab es noch keine Sciencefiction.« CyberNel schaute das Dorf auf dem Fußboden an und schob ihre Hand in meine.
»Na und ob«, entgegnete ich. »Er las Jules Verne und Tscholkowski, der sich schon vor hundert Jahren Lichtsignale von Planet zu Planet vorstellte.«
»Es ist zwanzig vor elf.«
»Klappt es nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Eine andere Möglichkeit wäre, mich von außen über eine E-Mail in seinen Computer einzuschleichen, aber das ist schwierig und auch gefährlicher, denn bei der Polizei gibt es gute Computerspezialisten. Es wäre nicht gut, wenn sie auf uns stoßen würden.«
»Er schreibt garantiert seine Passwörter irgendwo auf.«
»Vor allem wenn er intelligente Kinder hat und sie oft ändern muss.«
»Lass uns erst überlegen, was wir tun, wenn sie plötzlich nach Hause kommt. Ich könnte einen Wasserkessel zum Pfeifen bringen oder etwas anbrennen lassen. Oder den Schlüssel wegnehmen.«
»Nein, dann glaubt sie, ihr Mann sei zu Hause, klingelt und schaut durch die Fenster«, wandte Nel
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