Caroline
hat«, sagte ich. »Wenn er nicht da ist, kommst du sofort zurück, dann verschieben wir das Ganze auf Donnerstag.«
Nel seufzte, öffnete die Beifahrertür, spannte ihren Schirm auf und stieg aus. Auf Fotos und im Fernsehen wirkte die Larue einen halben Kopf größer als Nel, aber unter dem Regenschirm verborgen, in einem Regenmantel und mit sehr hohen Absätzen bestand durchaus eine entfernte Ähnlichkeit. Wir machten uns nicht allzu große Sorgen, denn es würden zwei bis drei Monate vergehen, bis man in der Nachbarschaft Erkundigungen einzöge. Und selbst bei einer vorsichtigen Ermittlungsweise muss die Polizei früher oder später zum Vergleich ein Foto zeigen. Die Nachbarin sagt dann, ja, sie habe eine Frau gesehen, und da die Polizei offenbar glaubt, es müsse sich um diese Frau handeln, und es außerdem geregnet hat, könnte das durchaus stimmen. Zwei Fragen später könnte die Nachbarin es dann beschwören.
Nel ging durch das Gartentor. Ich stieg aus dem Auto aus, öffnete meinen Schirm, nahm Nels Tasche und lief an der Hecke entlang. Das Nachbarhaus wirkte verlassen. Das Gartentor der Alledins stand auf und Nel war nirgendwo zu sehen. Ich klappte das Tor zu. Die Haustür war angelehnt und Nel schloss sie hinter mir. Sie hatte die hochhackigen Schuhe ausgezogen. Auf Strümpfen sah sie kleiner und unschuldig aus.
»Wo ist der Schlüssel?«
»Zurück an seinem Platz.«
Da unsere Schirme auf den Fliesen im Flur Pfützen hinterlassen würden, stellte ich sie an den Zählerkasten auf die Kokosfußmatte, auf der die Nässe weniger auffiele. Ich wischte meine Schuhe an der Matte ab, kehrte Nels Mantel auf links und hängte ihn über die Regenschirme. Ich nahm ihre Tasche und wir gingen rasch ins Haus hinein, auf der Suche nach dem Computer. Von der Eingangsdiele aus gelangte man in einen Flur mit einer Treppe ins obere Stockwerk. Weiter hinten befand sich die geräumige Küche, von der aus eine Tür in den Garten führte und wo es nach Tee und Erdnussbutter duftete. Die Familie hatte den Küchentisch nicht abgeräumt und in der Eile auch die Tür zum Wohnzimmer offen gelassen. Nel öffnete die einzige geschlossene Tür und pfiff mir zu.
»Hier ist es.«
Der Übersetzer hatte ein Arbeitszimmer im vorderen Teil des Hauses. Es nahm ein Drittel des gesamten Erdgeschosses in Anspruch und war vom Wohnzimmer durch eine offensichtlich selbst gebaute Konstruktion aus Schränken und einer Falttür abgetrennt. Ein Klostertisch diente als Schreibtisch. Dahinter standen Regale und Fächer voller Bücher und Kuriositäten, und von dem verschlissenen Bürostuhl aus konnte Alledins durch das Fenster nach draußen schauen. Auf halber Höhe war eine Gardine angebracht, die er zuziehen konnte, wenn er nicht abgelenkt werden wollte, aber nun war sie offen und nur ein paar Pflanzen versperrten den Einblick von draußen. Es war ein ziemlich chaotisches Zimmer mit abgenutzten Möbeln und einem marokkanischen Sitzkissen auf einem unechten Perser, Pappkartons, herumliegendem Spielzeug, Büchern und Zeitschriften sowie Grundschulbüchern und Schulheftstapeln. Hier wurden die Bücher auch gelesen.
Wir blieben einen Augenblick lang in der Tür stehen. »Ein Foto brauchen wir nicht zu machen, aber wir müssen die Gardine zuziehen«, sagte ich.
Nel drückte sich an der Wand entlang und stieg auf dem Weg zum Fenster über allerlei Hindernisse. Sie schob die Gardine hinter einem Ficus vorbei und hielt sich verdeckt, während sie die beiden Hälften schloss. Es regnete noch immer und wir brauchten höchstens mit dem Postboten zu rechnen. Ich musste aufpassen, mit dem Kopf nicht die Gardine zu überragen.
Ich schob einen Sitzhocker beiseite, damit Nel an den Schreibtisch und den Computer gelangen konnte, doch noch bevor sie ihn erreicht hatte, sagte sie aus tiefstem Herzen: »Scheibenkleister!«
»Was ist denn?«
»Na guck doch, keine Tastatur!«
»Scheibenkleister!«, äffte ich sie nach, weil Nel nun einmal nicht fluchen konnte. Scheibenkleister war schon ziemlich ernst.
Sie warf mir einen warnenden Blick zu. »Ich schleppe zwar alles Mögliche mit mir herum, aber keine Tastaturen. Er hat sie natürlich wegen der Kinder versteckt. Er will vermeiden, dass sie, wenn er mal nicht zu Hause ist, an seinen Computer gehen und aus Versehen eine Übersetzung löschen.«
»Oder sich Pornos angucken.«
»Hier wohnen keine Pornokinder«, entgegnete Nel und begann Schubladen im Regal hinter dem Schreibtisch zu öffnen. Ich durchsuchte die
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