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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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schließen, gefrorene Leiche rausholen. Dann, während immer mehr Schaulustige zusammenströmten, wurde eine Entscheidung getroffen – ausstellen oder zerstören.
    Sliv hob seine Zahnradhand. »Gar nicht, es sei denn, du willst auch so eine wie die hier.«
    »Ist nicht dein Ernst.«
    »Tja, die Rio- II -Schleuse hat nie richtig funktioniert. Wir konnten die Sensoren einfach umgehen, kein Problem. Lief für uns alles ganz easy.«
    »Und dann?«
    »Haben sie sie repariert.« Sliv zog eine silberne Muschelschale von seinem Gürtel und befestigte sie an den Zahnrädern. Mistletoe folgte ihm um den Eingang der Schleuse herum und würgte. Sie waren geradewegs in einen Berg aus schwarzen Müllsäcken hineingewatet. Die meisten waren aufgerissen, Ströme von Abfall sickerten zäh daraus hervor. Sie schmeckte den feuchten, faulen Gestank tief in ihrer Kehle.
    »Das ist verbloggt widerlich«, röchelte sie. »Was machen wir hier?«
    Sliv klappte mit einem seiner echten Finger die obere Hälfte der Muschelschale auf. In der Öffnung erschienen drei kupferne Schlüssel. Er durchstöberte den brusthohen Müll, bis er zufrieden schien, weswegen, konnte sie nicht erkennen. Gleich darauf stieß er mit seiner Hand tief in einen der Säcke. Mistletoe hielt sich die Nase zu. Dreimal klickte es leise, dann zog er eine Luke auf, die unter den Abfallbergen völlig vergraben gewesen war.
    Er machte eine übertrieben feierliche Verbeugung. »Prinzessin, Eure Leiter erwartet Euch.«
    Mistletoes Blick wanderte den Barackenhaufen dreißig Stockwerke hinauf bis zur Unterseite des Sphärenschilds.
    »Ist ’n alter Zugangsschacht für die Wartung der Schleuse«, sagte Sliv. »Hübsche Kletterpartie, aber mit was anderm können wir nicht dienen. Sicher, dass du keine Gesellschaft willst?«
    Einen Moment lang wünschte sie, Sliv
würde
mit ihr nach oben kommen. Es wäre gut, jemanden dabeizuhaben, der sich dort auskannte. Aber schon der Versuch, ihm den Zweck ihrer Reise zu erklären, schien unmöglich.
    Hab grad erfahren, dass UniCorp mich erschaffen hat. Meine Eltern sind ’ne Metallröhre und ’n paar komische alte Knacker. Weiß nicht genau, wieso ich überhaupt lebe. Würd das eigentlich ganz gern rausfinden.
    »Das hier muss ich allein machen. Aber danke.«
    Sie steckte den Kopf in den schmalen Zugangsschacht. Tatsächlich ragten rostige Metallsprossen aus der Zementwand.
    »Hör mal«, sagte er und musterte die Halskette, die sich unter ihrem Shirt hervorgearbeitet hatte. »Vergiss mich nicht, okay?«
    Sie berührte leicht seine Zahnradhand. »Werd ich nicht.«
    Im Innern des Schachts stellte sie sich auf die unterste Sprosse und schaute hinauf. Nicht mal der kleinste Lichtschimmer zeigte, dass dort oben ein Ausgang war. Sie holte tief Luft und begann, eine Hand über die andere zu setzen, sich in vollkommenes Dunkel hinaufzuziehen. Im nächsten Augenblick rief Sliv ihr nach.
    »Hey!«
    »Was?«
    »Viel Spaß an der Uni.«

10

Kalibrierung
    »Len«, sagte Ambrose, »du verbloggte kleine Synth-Kröte.«
    Seine Gefühle für Len waren schon immer widersprüchlich gewesen, aber hier und jetzt, kilometerweit unter dem Zuhause ihrer Kindheit und Lichtjahre entfernt von ihrem alten Leben als UniCorp-Kollegen, war Ambrose ziemlich sicher, dass er seinen Bruder hasste. Was zählten die gemeinsam verbrachten Jahre – die Quälereien, der Spott und die raren Momente überraschender Freundlichkeit – überhaupt noch, wo er doch inzwischen wusste, dass sie gar nicht verwandt waren?
    »Eindrucksvoller Gebrauch des hiesigen Jargons, kleiner Bruder«, sagte Len. »Der Vortrag allerdings könnte noch etwas mehr Biss vertragen.«
    »Ich bin nicht dein Bruder.«
    »Das weiß ich. Ich dachte nur, wir sollten uns erst mal langsam an unser neues Verhältnis gewöhnen.«
    Flankiert von dem finster dreinblickenden UniCorp-Sicherheits-Team wirkte Len ein wenig wie ein junger, ernster Martin Truax: Das sandfarbene Haar und die markanten Züge waren die gleichen, doch das Filmstargrinsen und das Faszinierende der Erscheinung fehlten. Es schien unwahrscheinlich, dass Len hierhergeschickt worden war, um ihn zu töten – Martin wollte seine Beute lebend –, aber die Standardausgabe der UniCorp-Disruptoren verfügte über höchst effektive nichttödliche Feuer-Programme. Wenn Ambrose zu fliehen versuchte, läge er als zuckender Klumpen Sülze auf dem Boden, noch ehe er drei Schritte gemacht hätte.
    »Wie lange weißt du schon, was ich bin?«
    »Ungefähr ein

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